Die ganze Rückfahrt über habe ich mich gefragt, was mich geritten hatte, diesen Trip zu buchen?! Ok, mein Traum, mit den Glattwalen zu tauchen hatte sich nach Kenntnisnahme der örtlichen Naturschutzregeln in Luft aufgelöst. Und ein Tauchgang mit den See-Elefanten sollte über 100 Euro kosten. Dennoch: Hätte eine Bootstour zu den Walen nicht ausgereicht?
So kickte mich an diesem Morgen ein Hitzeschock aus meinem Halbschlaf noch bevor ich in dem Minibus vor meinem Hostel Platz genommen hatte. Das Platz nehmen fiel auch nicht leicht, denn zuerst musste ich meinen Platz finden! Ich versuchte die für mich reservierte Stelle zu erspähen. Scherzend schlug ich vor zu fahren, denn auch ein Fahrer fehlte. Doch leider schob sich auch dieser als gleich in den Bus und verwies mich auf einen Spalt in der hinteren linken Ecke des Vehikels. Mein Körper zögerte, als wollte er mir ein Zeichen geben, als flehte er mich an! Doch ungenutzt ließ ich auch die letzte Chance auf einen Rückzug verstreichen und gab ihm Befehl dem Kommando des Busfahrers Folge zu leisten. Eingeklemmt neben einem raumfüllenden Schweizer spähte ich aus dem Fenster – welches sich zwar nicht öffnen ließ, aber immerhin Aussicht versprach.
Als sich die Sardinendose in Bewegung setzte, sank meine Laune aufs Neue. Die ersten Worte, der vielleicht 20-jährigen Touristenführerin, hatte ich zwar noch mitbekommen. Doch schon nach wenigen Metern, wir hatten Puerto Madryn noch nicht verlassen, überlagerte jeglichen Inhalt ihrer Kommentare das schrille Pfeifen der Klimaanlage. Lediglich der lang gezogene, gekünstelte Unterton ihrer Stimme, welcher einzig und allein die Message transportierte: „Ich mache das jeden Tag und ihr langweilt mich zu Tode!“, drang monoton säuselnd in mein Ohr.
Nachdem wir den Parkeingang zur Halbinsel Valdés passiert hatten, blickte ich neugierig aus dem Fenster. Jetzt befand ich mich in einem Naturreservat, nun musste es ja irgendetwas zu sehen geben! Aber nein, draußen erstreckte sich die gleiche öde Landschaft, wie schon hunderte Kilometer zuvor links und rechts der patagonischen Landstraße. So eindrucksvoll wie sich die Anden im Westen Patagonien erheben, so flach und leer wirkt die Steppe im Ostteil des Landes – und Valdés entpuppte sich als eine einzige langweile Fortsetzung dieser.
Gen Mittag erreichten wir Puerto Pirámides und das Highlight meines Tages nahm seinen Lauf. Ich, die Sardinen aus meiner Büchse und 40 Weitere stachen mit einem Motorboot in den Golfo Nuevo. Ziel der Aktion war es eine Schule Glattwale zu beobachten. Backpacker aus meinem Hostel hatten von 20 Exemplaren am Vortag berichtet, auch Orcas soll man gesehen haben. Auf uns wartete ein einziger Babywahl. Aber egal, seine Größe von 8 m Länge machte Eindruck. Wenn auch nicht gleich, denn es dauerte ein Weilchen, bis ich ihn zu Gesicht bekam. Der Kapitän hatte zwar Kommando gegeben, dass alle an ihrem Platz zu bleiben haben und er das Schiff mal links, mal rechts dem Wal näher bringen würde… doch solchen Anweisungen gegenüber erwiesen sich die Sardinen als resistent. Kaum nährten wir uns dem Wal Steuerbord, bildete sich auf der rechten Seite des Schiffes eine Mauer. Ich stand Backbord und traute mich nicht die Seite zu wechseln – als wäre ich der einzige Ballast, der das Boot am kentern hindern würde. Plötzlich löste sich die Mauer und man machte mir Luft. Höflich dankbar wechselte ich die Seite, doch zu sehen gab es nichts mehr. Der Wal war unter dem Boot hindurchgetaucht. Als ich dies bemerkte, war es für einen erneuten Seitenwechsel bereits zu spät. Die Mauer stand schon wieder. So und ähnlich setzte sich das Spiel fort, bis wir nach einer Stunde an den Strand zurückkehren mussten.
Den Rest des Tages tuckerten wir weiter über das Ödland. Einmal hielten wir an, weil es etwas zu sehen gab, angeblich einen Vogel. Genau weiß ich es nicht, denn ich saß mal wieder auf der falschen Seite des Fahrzeuges. Desweiteren stoppten wir an zwei Parkplätzen. Auf dem einen schnüffelten 3 Magellan-Pinguinean einer Absperrung. Von dem anderen aus, war eine Kolonie See-Elefanten zu beobachten. Die Tiere lagen in 30 m Entfernung faul auf dem Küstenkies, wie Weißwürste auf dem Grill, wenn sie noch Stunden brauchen, bis sie gar sind.
Zurück in Puerto Madryn, einer zubetonierten argentinischen Touristenburg mit einem zwar idyllisch gelegenen aber von Mief überzogenen Sandstreifen, packte ich meine Sachen und ergriff die Flucht.
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Da er langsamer ist, als andere, war der Southern Right Whale der „Richtige“ für Walfänger…
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Rückblickend muss ich gestehen, war es doch ein ganz netter Tag. So nah hab ich noch nie einen Wal zu Gesicht bekommen. Und was die mehrstündige Bustour über die Insel angeht… nun ja, ich habs überlebt, im Gedächtnis bleibt der Wal – und aufregende Tage liegen ja auch noch viele vor mir…
„Hello everyone! Auf der rechten Seite des Schiffes begleiten uns zwei Orcas (*)! Das Wetter ist exzellent, kommen sie doch auf die Brücke und genießen sie die fantastische Aussicht!“. Viel Zeit zum Verschnaufen blieb uns nicht auf unserem Trip durchs ewige Eis, denn so und ähnlich tönte Agustins Stimme immer aus den Lautsprechern der Ushuaia, sobald es an Deck etwas zu sehen gab, der Kapitän ein interessantes Manöver durchs Treibeis navigierte, ein Briefing an stand, der Barkeeper Snacks in der Lounge verteilte oder oder oder. Augustin, Leiter der Expeditionen, und seine Kollegen hatten ein 16 h Programm auf Lager, das sich gewaschen hatte. Den Rucksack voller Bücher, hatte ich damit nicht gerechnet. Was sollte man schon anstellen, auf einem Archipel voller Eis?
So einiges hatte ich ja bereits gelesen über den siebten Kontinent. So soll es in der Antarktis nicht nur sehr kalt, sondern merkwürdigerweise auch besonders trocken sein. Bei Minusgraden von bis zu – 88 °C ist sämtliches Wasser gefroren. Durch den weißen Schnees wird die Sonnenwärme eher reflektiert als absorbiert. Das Wasser verdunstet nicht, so dass der Himmel über dem Südpol wolkenlos und strahlend blau ist. Der Wind, der Wolken bringen könnte, wird an der Poolkappe gebrochen, denn die Antarktis ist von einer bis zu 4,5 km dicken Eisschicht bedeckt. Unter der Eisdecke sind 75 % der weltweiten Süßwasser-Reserven eingeschlossen. Das höchste Gebirge, das Vinson-Massiv wird mit einer Höhe von bis zu 4.892 m angegeben. Der tiefste Punkt liegt im Bentleygraben, 2.555 m unter dem Meeresspiegel. Im Ostteil der Antarktis wird es wesentlich kälter als im Westen. Und 25.000 Touristen geben jährlich pro Kopf mehr als 4000 US-Dollar für eine Reise aus, die in jedem Fall Kälte, Entbehrung und Seekrankheit verspricht. Ich war aufs äußerste gespannt, was es dafür zu sehen gab.
Doch zu nächst galt es die „Drake Passage“ zu überqueren, was ich in meinem letzten Statement ja schon angekündigt hatte. Und wie befürchtet, setzte sich Punkt 22 Uhr beim tiefen Tuten des Schiffshorns und dem Start der Schiffsschraube auch mein Magen in Bewegung. Das erste Briefing an Bord hatte ich zwar noch absolviert, die Lektionen „Über das richtige Greifen nach einem Geländer“, „Das Vermeiden von Klammern an Türrahmen“ sowie „Gewicht und Schließbarkeit von Schiffstüren“ aber als bald vergessen. Selbstverständlich nicht für lange, denn schon am nächsten Morgen trug ich einen Verband um die linke Hand. Eine solche Erfahrung macht man nur einmal.
Meine simpel ausgestattete Kabine, gelegen im Rumpf des Schiffes, direkt neben dem Maschinenraum, teilte ich mit Vincent, einem US-Amerikaner. In den ersten dunklen beiden Tagen lernten wir uns ganz gut kennen und mögen. Vincent hatte seine Reise in Mexiko begonnen und somit bereits ein paar Geschichten auf Lager. Außerdem nährte unser Glück die Wetterlage. Erwartet wurden 10 m hohe Wellen. Doch fest geklammert an unsere Matratzen schwankten wir nur um einem Radius von 4 m. Um die gruselige Zeit möglichst geistreich zu überbrücken, boten Augustin & Co interessante Vorlesungen an. Auf dem Programm standen Themen, wie „Die Entdeckung der Antarktis“, „Die Entstehung unterschiedlicher Eisarten“, sowie natürlich Stunden zur Flora und Tierwelt des kühlen Kontinents.
Meine ganze Aufmerksamkeit konzentrierte sich an diesen Tagen jedoch auf das Küchenpersonal, insbesondere auf Hector, welcher meinen Tisch bediente. Während mein Leistungsvermögen gerade dazu ausreichte, mich aus meinem Halbschlaf zu quälen und mich mit erlerntem Angstgriff schwankend bis zur Kantine zu kämpfen ohne mich dabei im Flur übergeben zu müssen, tänzelte Hector durch den Speisesaal wie ein Balletttänzer bei seiner ganz persönlichen Lieblingsinszenierung. Die Küchendielen waren sein Parkett und die Passagiere nur gekommen um ihn zu sehen. Die Wellen schienen ihn zu heben und zu senken, als wogen sie sich zur gleichen unhörbaren Musik, wie Hector selbst. Während ich mich dabei glücklich schätzte, meine Tasse Kaffee ohne zu kleckern bis zum Mund zu führen, jonglierte er mit einem Tablett voller Gläser und dem Turm von Babel, in Form schmutziger, ineinander geschobener Teller – was mich letzten Endes noch mehr schwindeln ließ. Erholung versprach der frische, wenn auch eisige Wind an Deck. Königsalbatrosse standen in der Luft. Und eine Paloma Antarctica auf dem Geländer versprach eine baldige Ankunft.
Das Meer beruhigte sich, ein letztes Briefing zum Verhalten an Land und dann war es soweit: Die Zodiacs wurden ins Wasser gelassen und wir setzten über nach Aitcho, einer kleinen Insel vor den Shettland Islands. 3 bis 4-tausend Zügelpinguine erwarteten uns dort. Der Himmel war verhangen von grauen Wolken, doch die Fotoapparate liefen heiß. So viele Pinguine hatte noch keiner der Touristen auf einem mal gesehen. Und wie drollig diese Kerlchen waren! Nervös blickten sie nach links und rechts, nie schienen sie zu wissen, was sie als nächstes tun oder lassen, wohin sie gehen oder auf dem Bauch rutschen sollten. Ob es sich um Männlein oder Weiblein handelte war an ihrem Äußeren nicht zu erkennen. Und wie uns Augustin verriet, ist dies auch aus ihrem Verhalten nicht zu schließen. Zwischen den Geschlechtern gibt es keine Arbeitsteilung, beide gehen fischen und betreuen abwechselnd die Jungen.
Am nächsten Morgen gingen wir vor Hydrurga Rocks vor Anker. „Good morning, everyone!“, ertönte es fröhlich aus den Lautsprechern und bei allen Passagieren war der Appetit sichtlich zurückgekehrt. Über uns schien die Sonne vom hellblauen Himmel, in jungfräulichem Weiß bedeckten Schnee und Eis kleine Inseln, dazwischen tiefblaues Meerwasser. Abermals erwarteten uns tausende Pinguine, diesmal Adeliepinguine.Das ganze ergab ein Panorama von unglaublicher Tiefe, wie man es sich schöner nicht erträumen kann. Alles war so wunderbar, so fantastisch und dabei so unwirklich, dass man Angst haben musste, gleich zu erwachen. Am Nachmittag gingen wir auf Cuverville Island an Land. Und auch hier konnten wir uns von der paradiesischen Schönheit dieser Welt aus Eiskristallen überzeugen. In keiner Weise glich sie den Archivaufnahmen der ersten Entdecker, Amundsen & Co, in meinem Kopf.
Am kommenden Morgen betraten wir den antarktischen Kontinent auf Neko Harbour, 64° 50′ S, 62° 31′ W. Eine Kolonie Eselspinguine begrüßte uns fröhlich. Drollig kamen sie, einer nach dem anderen, ans Ufer gehoppst. Ein ganz und gar niedliches Unterfangen, doch plötzlich zuckten alle zusammen. Ein lautes Knacken durchriß die friedliche Stille der Bucht. Und als gerade der letzte Pinguin den schmalen Hang erklommen hatte, was gar nicht so einfach scheint, für diese tapsenden Vögel, klatschte direkt hinter ihnen mit lautem tosen eine Gletscherwand ins Meer. Was für ein bombastischer Augenblick! Die Flutwelle spülte einen Seeleoparden an Land. Zum Glück der Pinguine ließ sich dieser aber gleich wieder ins Wasser gleiten.
Gegen Mittag erreichten wir Paradise Bay. Die Wasseroberfläche war so Spiegel glatt, dass man alle Berge doppelt sah. Einfach traumhaft! Wieder wurden die Zodiacs ins Wasser gelassen. Doch diesmal fuhren wir mit ihnen durch eine türkisblau-weiße Landschaft aus Eisbergen. Zwischen den Felswänden beobachteten wir Kormorane beim füttern ihrer Jungen. Danach betraten wir Skontorp Cove. Und abermals waren unsere Augen gefordert. So viel Schönheit konnte unmöglich der Zufall erschaffen haben! Als hätte Gott sich mit zwei Air-brush-Pistolen ausgetobt, um die perfekte Kombination von Weiß und Blau zu finden! Wenn es auf der Erde einen Himmel gibt, dann habe ich ihn an diesen Tagen betreten. In der Antarktis kann man wahrhaftig wieder gläubig werden.
Am Nachmittag besuchten wir die Base Brown, eine argentinische Rettungsstation. Ursprünglich hatte sie einen militärischen Vornamen. Da Titel, wie „Admiral“, „Captain“ oder auch „Commander“ aber nicht der heutigen, friedlichen „Idee“ vom Kontinent Antarktis entsprechen, wurde er entfernt. Abermals genossen wir eine umwerfende Aussicht und veranstalteten eine Schneeballschlacht. Während der gesamten Reise war es sozio-psychologisch interessant zu beobachten, wie sich fremde und ganz und gar unterschiedliche Menschen nach ein paar glückselig geteilten Momenten doch in die Arme fallen können.
Wieder an Bord der Ushuaia waren meine Augen bereits sehr sehr müde. Doch ans Schlafen gehen war nicht zu denken. Ein „Hello, everyone!“ und alle versammelten sich auf der Brücke, um die Aussicht zu genießen. Kapitän Aldegheri steuerte die Ushuaia durch den Delmar-Kanal direkt auf die untergehende Sonne zu und bescherte uns damit allen einen unvergesslichen Abend. Das Meer leuchtete in saemtlichen Farben, die der göttliche Farbkasten zu bieten hatte. Sogar die Eisberge in der entgegengesetzten Richtung schimmerten in türkis-rosa-violetten Tönen. Dabei war es so hell, dass meine Kamera keinen Blitz benötigte, um scharfe Fotos zu schießen. Aldegheri liebt klassische Musik und so lauschten wir besonnen Mozarts Zauberflöte (und aehnliche Werken) währen Himmel und Ozean in einem unglaublichen Farbenmeer verschmolzen.
Als ich in dieser Nacht in mein Bett sank, waren meine Synapsen von den visuellen Eindrücken des Tages völlig überreizt. Doch noch war unsere Reise nicht zu Ende! Die berühmt, berüchtigte Forschungsstation „Wernadski“ war unser nächster Anlaufhafen. Von den Britten übernommen, führen die Ukrainer hier die in den 50ern begonnenen Forschungsarbeiten fort. In den einfachen Holzbaracken führen die 13 Wissenschaftler (Biologen, Meteorologen, Physiker, Ozonforscher) ein sehr einfaches Leben. Dabei sind sie vollkommen auf sich selbst gestellt. Nur alle 8 Monate hält ein Versorgungsschiff an, weshalb sie zum Beispiel selbst Trink- aus dem salzigen Meerwasser herstellen müssen. Berühmt ist die Station, weil hier in den 80ern zum ersten mal Veränderungen der Ozonwerte festgestellt wurden – berüchtigt, weil die Forscher die südlichste Bar der Welt betreiben. Frauen gibt es unter den Forschern keine, weshalb sie weiblichen Touristen im Tausch gegen einen benutzten BH ukrainischen Wodka anbieten. Ich erhielt einen Antarktis-Stempel in meinen Reisepass und meine Eltern können sich nun auf eine Antarktis-Postkarte freuen – die sie wahrscheinlich im Herbst 2010 erreichen wird.
Was das Wetter anging, war unser Timing bis zu diesem Zeitpunkt perfekt. Aber wenn wir nur zwei Wochen eher bei den Wernadski-Forschern eingetroffen wären, hätten wir eine Gruppe Kaiserpinguine (**) sehen können. Die Forscher selbst waren über ihrer Beobachtung nicht ganz so erfreut. Für sie war das auftauchen der Pinguine ein sicheres Zeichen für einen Klimawandel.
An den folgenden Tagen besuchten wir weitere Inseln vor der antarktischen Küste. Besonders interessant und vor allem erfrischend war unser Aufenthalt auf Deception Island. Die Insel beherbergt einen zum Meer offenen Vulkan, den sich in den 30ern norwegische Walfänger zu Nutze machten. Damals war Walöl so wertvoll, wie Erdöl es heute ist. Um ungestört und vor allem unbeobachtet ihre Beutetiere zerlegen zu können, verschanzten sich die Norweger im inneren des Vulkanes. Walfangplätze waren zu dieser Zeit ein schwer gehütetes Geheimnis. Im Gegensatz zu den Walfängern, machten wir uns die Wärme des Vulkans zu Nutzen und badeten im antarktischen Vulkansee.
Auf Petersman Island sahen wir Holzkreuze. Sie sollten an Ski-Fahrer erinnern, die von ihrem Ausflug nicht zurückgekehrt waren. Klingt schräg, aber bereits in den 60ern hat Eric Lindblad die ersten Touristen in die Antarktis gebracht. Seit dem verschlägt es sogar Bergsteiger hierher. Sie beflügelt wohl die Hoffnung, einen noch unbekannten Berg nach sich benennen zu dürfen. Ein Besuch der Insel Half Moon Island sorgte für einen traumhaften Abschluss unserer Reise.
Nun, leider habe ich auf der Ushuaia keine Millionärstochter kennengelernt, nicht mal eine Millionärswitwe. Dennoch hat sich der Ausflug zum südlichsten aller Kontinente mehr als gelohnt. Was ich gesehen habe, werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Und wenn ich auf der Stelle nach Deutschland zurückkehren müsste… würde ich mich nicht beschweren. Alle Anstrengungen, alle Entbehrungen, jeder Wochenenddienst, jede Frühschicht, jede verpasste Party – selbst mein 3-jähriges Single-Leben – haben sich in den Stunden in der Antarktis bezahlt gemacht. Alles hat sich nach diesen Tagen bereits gelohnt.
4 Pinguine im Himmel auf Erden
(*) Orcas, auch bekannt unter Namen wie „Killer-“ oder „Mörderwale“, gehören eigentlich zur Familie der Delfine, da sie Zähne haben. Am liebsten fressen sie die Zungen von Walen. Sie töten sie, in dem sie zum Beispiel über sie schwimmen und die Beutewale nach unten druecken. Robben fangen sie, in dem sie aus dem Wasser luken und sie ausspähen. Dann schwimmen sie unter die Eisscholle, auf der die Robbe liegt und drücken sie nach oben, bis diese bricht – oder die Robbe von alleine ins Wasser flüchtet. Da Orcas auch atmen müssen und laengere Strecken nicht unter dem Eis zurücklegen können, brechen sie sich Kanäle ins Eis. Orcas jagen auch in Gruppen…
(**) Kaiserpinguine werden bis zu 1,30 m groß und sind damit die größten Vertreter aus der Familie der Pinguine. Sie legen ihre Eier auf dem sicheren antarktischen Festland. Dort schmilzt das Eis im Sommer nicht und sie müssen keine natürlichen Feinde fürchten. Im April treffen sich alle Single-Kaiserpinguine, um gemeinschaftlich den Akt der Fortpflanzung zu vollziehen. Nachdem das Weibchen ihr Ei auf ihren Fuessen gelegt hat, übergibt sie es ihrem Männchen. Dabei darf das Ei nicht das kalte Eis berühren. Danach begibt sich das Weibchen auf eine lange Wanderung von bis zu 200 km zur antarktischen Küste, um dort zu fressen. Währenddessen behält das Männchen das Ei auf seinen Füßen. Im Laufe der kommenden Wochen verliert es bis zu Hälfte seines Gewichtes. Die Küken schlüpfen nach etwa 64 Tagen. Für den Fall, das das Weibchen bis dahin nicht zurückgekehrt ist, hat das Männchen noch eine Futterreserve im Hals, welche das Überleben des Kükens um 2 Tage verlängern kann. Trifft das Weibchen rechtzeitig ein, begibt sich das Männchen auf Wanderung. Da nun bereits der antarktische Sommer begonnen hat, muss das Männchen nicht ganz soweit wandern, um zu fressen. Das Weibchen verliert in dieser Zeit ein Drittel ihres Gewichts. Ist das Männchen zurück, begibt sich wieder das Weibchen auf Wanderung – und so weiter… Unter diesen Bedingungen unglaublich aber wahr: Pinguine gehören zu den monogamsten Wesen dieser Welt.
Zur Entschädigung für die verpasste Beobachtung gab es am Abend den umstrittenen Film „La marche de l’empereur“ zu sehen. Für die atemberaubenden Aufnahmen der Kaiserpinguine haben zwei französischen Filmemacher zwei Jahre in der Antarktis verbracht, bei Temperaturen von bis zu – 60 °C! Umstritten ist der Film, weil die Dokumentaristen für ihre Aufnahmen Eier der Pinguine entwendet haben.
So mancher Leser mag sich bereits gefragt haben, warum ich nach meinem Aufbruch in Richtung Norden wieder nach Ushuaia zurückgekehrt bin. Die Antwort ist die folgende: Ich habe ein zwar teures, aber dennoch günstiges Ticket für eine Reise in die Antarktis ergattern können! Mein Schiff, die „Ushuaia“, legt in wenigen Stunden ab. Die Fahrt dauert insgesamt etwa 10 Tage. Dabei entfallen 4 Tage für die Hin- bzw. Rückreise. Etwa 5 Tage werde ich in der Antarktis verbringen und etwa 3 x pro Tag von Bord gehen können. Doch zunächst gilt es die Drake-Passage zu überqueren, benannt nach dem englischen Freibeuter und Weltumsegler Francis Drake. Die Passage verdient ihren Namen zurecht, denn sie hat ein mindestens genauso stürmisches Gemüt, wie der Pirat selbst eins besaß. Auf den etwa 700 km sinkt nämlich das kalte antarktische unter das wärmere subtropische Oberflächenwasser. Drückt mir die Daumen, denn ich fürchte, ich werde mich an der Reling festbinden müssen! In etwa zwei Wochen werde ich Euch Bericht erstatten!
Hasta proxima! Euer Dominik
PS: Allen ökologischen Bedenkenträgern kann ich versichern, dass das verantwortliche Unternehmen Vollmitglied der IAATOist und sich damit einem strengen Regelwerk zum Verantwortungsbewussten Reisen in die Antarktis unterworfen hat.
Am Hafen von Ushuaia: „Das Ende der Welt, der Anfang von Allem“.
PSPS: Wer meine Reise für „extrem“ hält, dem sei gesagt, dass ich wirklich nur zur „Mittelklasse“ der Traveler gehöre. Mein marokkanischer Bettnachbar Maximo zum Beispiel, brach vor 6 Monaten in Buenos Aires auf: Er legte die 3000 km nach Ushuaia zu Fuß zurück, fragte wochenlang hier im Hafen nach einem Job auf einem Antarktisboot, repariert gerade die Kajüten und bricht im Dezember mit einer 10-köpfige Besatzung auf, um als Koch (obwohl er nicht kochen kann – hoffentlich werfen sie ihn nicht über Borrd!) für die Verwirklichung seines Traumes bezahlt zu werden…
Feuerland wurde vor knapp 10.000 Jahren von Indianern besiedelt. Aufgrund ihrer nomadischen Lebensweise, lassen sich diese eher mit den Indianer Nordamerikas vergleichen, als mit den Mayas oder Azteken Mittelamerikas. Die Indianer trugen weder Kleider noch Felle. Gegen die Kälte rieben sie sich mit dem Fett von erlegten Robben ein. Als Nahrung dienten Guanacos und Riesenfaultiere (*).
Im Landesinneren lebten die Selk’nam, auch Onas genannt. Sie fürchteten eine Gruppe Geister, die sich eigentlich aus Mitgliedern ihres eigenen Stammes rekrutierten. Diese „Geister“ traten, mit schauspielerischem Talent bewaffnet, geschminkt und gedresst in bunten Kostümen vor ihre Stammesgenossen und sorgten so für das nötige Maß an „Zucht und Ordnung“ unter den Frauen. Männliche Mitglieder des Stammes mussten sich einer Reifeprüfung unterziehen und gegen einen der Geister antreten – obwohl die Geister als unbesiegbar galten. Schlug sich ein junger Krieger wacker und mutig, wurde er im Angesicht seines Todes von seinem „Gegner-Geist“ begnadigt und in den Geheimbund aufgenommen (**).
An den südlichen Küstenstreifen siedelten die Yámana. Diese ernährten sich auch von Muscheln. Die Schalen türmten sie vor ihren Zelten zu weißgrauen Bergen auf. Wechselten die Yámana ihren Wohnsitz transportierten sie ihre Feuer auf ihren Kanus. Schwimmen konnten nur die Frauen, weshalb es auch ihre Aufgabe war, die Boote zu parken oder vorzufahren. Da das Wasser auf Feuerland viel zu kalt ist, um es schnell zu trinken, nutzten die Kanalindianer eine Knochenkonstruktion, welche den Lauf des Wassers in den Mund verlangsamt. Fortschrittlich, wie die Yámana waren, erkannten sie schon früh, dass Hausarbeit ein Vollzeitjob ist. Sie bestückten jeden Mann mit zwei Frauen, damit diese sich die Arbeit im Zelt teilen konnten. Um den Hausfrieden zu sichern wurden bevorzugt Schwestern verheiratet.
Der erste Europäer, der Feuerland zu Gesicht bekam, war Ferdinand Magellan. Als er im Oktober 1520 die nach ihm benannte Magellanstraße entdeckte, welche Feuerland vom südamerikanischen Kontinent trennt, beobachtete er Lagerfeuer, welche der Inselgruppe ihren Namen gaben. (***) Als Magellan das Festland betrat, soll er einem großwüchsigen Tehuelche-Indianer begegnete sein. Der Häuptling trug große Mokassins und Magellan soll gesagt haben: „Ha, Patagon!“. „Pata“ bedeutet im Spanischen „Fuß“, doch das Suffix „gon“ hat keine Bedeutung. Eine andere Erklärung zur Entstehung des Namens Patagonien erscheint deshalb einleuchtender: Magellan führte auf seinem Schiff den damals populären Ritterroman „Primaleon von Griechenland“ mit. In dem Märchen geht es um den Ritter Primaleon und ein Ungeheuer. Das Ungeheuer hat Füße, wie ein Hirsch und wird „Großer Patagon“ genannt. Der Ritter besiegte die Kreatur und nahm sie in seine Heimat mit. Magellan entführte zwei der Riesen-Indianer für Karl V. und seine Kaiserin.
Erste intensivere Untersuchungen Feuerlands stellten die beiden englischen Entdecker Philip Parker King (1826–1830) und später Robert FitzRoy (1832–1836) an, in dessen Gesellschaft sich auch Charles Darwin befand. Einen ersten Versuch der Besiedlung unternahm der Missionar Allen Gardiner im Jahr 1850. Er ließ sich mit 6 Begleitern in einem Boot im Beagle–Kanal absetzen. Gewehre hatten die mutigen Pioniere dabei, die Munition aber vergessen. Bei den Indianern besonders beliebt waren süße Kekse. Als diese den Siedlern ausgingen, bekamen sie ernste Schwierigkeiten und die Geschichte nahm einen dramatischen Verlauf. Die Indianer zogen die Siedler an ihren Bärten, woraufhin diese an die gegenüberliegende Bucht flüchteten. Eine Flutwelle verdarb die letzten Konserven. Von Hunger geplagt, erlebten die Gläubigen eine spirituelle Ekstase, deren Beschreibung überlieferten Tagebüchern entnommen werden kann.
Einem weiteren Missionierungsversuch Feuerlands bereitete der Yámana-Indianer Jemmy Button ein rasches Ende. Dieser war im Zuge einer Expedition von Parker King und Robert FitzRoy nach England verschleppt worden. Als Jemmy wieder nach Feuerland zurück verfrachtet wurde, rächte er sich, in dem er die Angehörigen der Anglikanischen Kirche während ihres ersten morgendlichen Gottesdienstes in ihrer neuen Kapelle erschlug oder steinigte. Jemmy und seine Krieger gingen in die Literaturgeschichte ein.
Von Erfolg gekrönt war hingegen die Missionierung durch Reverend Thomas Bridges. Dieser hatte bereits auf den Falkland-Inseln die Sprache der Yamana gelernt. Bei seinem Sohn Lukas kehrte sich das Schicksal allerdings um. Lukas ließ sich von den Indianern „missionieren“ und lief zu ihnen über. Über sein Leben bei ihnen schrieb er ein einzigartiges Buch: „The Uttermost Part of the Earth“. In den folgenden Jahren begannen Goldsucher, Schafzuechter und Immigranten die Ureinwohner rigoros zu verdrängen. Rasch waren die Indianer ausgerottet und damit Missionierungen obsolet, so dass weitere Bekehrungsaktivitäten bereits 1916 eingestellt werden konnten.
Ab 1850 diente Feuerland als Strafkolonie, doch für die Stadtentwicklung bedeutsam war der 1902 begonnene Bau des Presidio. Das Gefängnis habe ich mir gestern angesehen. Aus meinem Besuch kann ich schließen, dass die hier internierten Gefangenen ganz bestimmt den gesamten Zorn der argentinischen Regierung zu spüren bekamen. Ihre Hauptaufgabe bestand darin, ihr eigenes Gefängnis überhaupt erst zu bauen und später zu erweitern. Das Gebäude ist heute ein sternförmiges, 2-geschößiges Museum mit 5 Trakten. Zu den berühmtesten Gefangenen zählten der Tango-Sänger Carlos Gardel und der Schriftsteller Ricardo Rojas. Die Strafkolonie besaß nie eine Mauer oder auch nur einen Zaun. Wohin sollten die Insassen auch flüchten, am Ende der Welt? Die einzig bekannte erfolgreiche Flucht gelang dem Anarchisten Simón Radowitzky. Er ließ sich von einem Boot im Beagle–Kanal abholen – kurze Zeit später wurde er allerdings von chilenischen Soldaten aufgegriffen und zurück geschafft.
(*) Riesenfaultiere der Gattung Mylodon, welche auf Feuerland lebten, erreichten eine Länge von 3 m, etwa die Größe eines Stiers. Ihr Gewicht betrug zum Teil mehrere Tonnen. Es gab aber auch wesentlich größere gattungen, welche bis zu 6 m Länge erreichten. Die Höhle eines Riesenfaultiers in Puerto Natales ist eine Hauptattraktion für Touristen.
(**) An dieser Stelle sollte man nicht die Nase über das machoide Verhalten der Männer rümpfen ohne den Marianismo der Geschichte zu kennen: Ursprünglich wurden die Onas nämlich von weiblichen Geistern regiert. Der Schwindel flog aber auf. Die Männer waren so zornig, dass sie alle Geister-Frauen umbrachten und den Spieß umdrehten.
(***) Wenn die Kanalindianer einen gestrandeten Wal fanden, machten sie Feuer, um Stammesmitglieder zu verständigen. Den Rauch dieser Feuer hat Magellan wahrscheinlich gesehen und die Insel zuerst „Tierra del Humo“/ „Land des Rauchs“ genannt. Karl V. soll aber soll erklaert haben, es gebe keinen Rauch ohne Feuer und seit dem heisst die Insel „Tierra del Fuego“.
Quelle: „In Patagonien – Reise in ein fernes Land“, Bruce Chatwin, 1977.
Die Spuren der Yámana am Strand von Ushuaia: von Gras bewachsene Muschelberge.