Mindestens drei Mal täglich fröhne ich dem schwarzen Gebräu und den besten Rohstoff liefert Kolumbien. Logisch, dass ich auf meinem Weg nach Ecuador einen Stopp in der Zona Cafetera einlegen musste. Kolumbiens größtes Kaffeeanbaugebiet ist gekrönt von wuchtigen Vulkanzipfeln. Die mit Kaffee- und Bananenpflanzen (1) bedeckten Berge strahlen eine erhabene Schönheit aus. Von Armenia aus, einer von Erdbeben geschüttelten Stadt, brachte mich ein Minibus nach Recuca. Auf der Traditionsplantage konnte ich erleben, wie Kaffee in den 1920er Jahren angebaut, geerntet und verarbeitet wurde. In der Zeit vor der ersten Weltwirtschaftskrise machte Kaffee 90 Prozent des kolumbianischen Exportes aus. Heute sind es noch etwa 15 Prozent. Am Ende der Tour konnte ich mich davon überzeugen, dass kolumbianischer Kaffee noch immer der Beste in der Welt ist. Das hiesige Gebräu ist rotbraun und mundete erstklassig.
(1) Kaffeepflanzen benötigen einen gewissen Abstand. Um die Produktionskosten dennoch niedrig zu halten, werden sie z.B. in Kombination mit Bananenbäumen gehalten.
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Als eine der negativsten Folgen der Escobar-Ära kann die Entstehung der paramilitärischen Gruppen angesehen werden. Escobar verdiente sein Geld nicht nur mit Kokain, sondern auch mit dem Handel von Waffen. Er unterhielt zahlreiche Trainigscamps in denen er seine Privatarmeen von amerikanischen und israelischen Spezialtrainern ausbilden ließ. Aus vielen der meist minderjährigen, sogenannten Sicarios (Auftragskiller), die für Escobar arbeiteten, wurden später paramilitärische Milizen (1). Diese vereinigten sich 1997 zur AUC (Autodefensas Unidas de Colombia / Vereinigte Bürgerwehren Kolumbiens), einer Art Dachverband.
Die AUC soll (nach eigenen Angaben) etwa ein Drittel des kolumbianischen Kongresses kontrollieren. An ihrer Gründung soll der heutige Präsident Álvaro Uribe maßgeblich beteiligt gewesen sein. Bereits sein Vater war als Drogenhändler für Escobar tätig gewesen. Uribe selbst soll „Chef der Luftfahrt“ Escobars gewesen sein. Die TV-Journalistin Virginia Vallejo, einst Geliebte von Pablo Escobar, legt diese Verbindung in ihrem 2007 veröffentlichten Buch „Pablo lieben, Escobar hassen“ dar. Uribe war demnach für den Ausbau von Flugplätzen in Kolumbien und auf Inseln in der Karibik verantwortlich. Nachdem sein Vater von der FARC ermordet worden war, wurde dessen Leichnam in einem Flugzeug Escobars aus dem Dschungel ausgeflogen. Fragen von Journalisten nach Uribes Verbindung zu Escobar treiben den Politiker deshalb regelmäßig zur Weißglut. Auch sein Hass auf die FARC resultiert vermutlich aus diesem Schlüsselerlebnis. Dennoch, so wurde mir auch heute wieder von dem Escobar-Historiker bestätigt, arbeitet die Regierung Uribe nicht wirklich an der Zerstörung der Guerillagruppe – schließlich würde sie das um die US-Amerikanischen Fördergelder aus dem „Plan Colombia“ bringen. Außerdem benötigt sie einen Sündenbock. Denn wer sonst, wenn nicht die FARC, würde denn dann das ganze Kokain in die Staaten exportieren? Deshalb ist der Regierung Uribe vielmehr an einer Erhaltung des Status Quo gelegen. Wie mein historischer Führer heute immer wieder beteuerte, ist (zumindest Teilen) der Regierung auch absolut bekannt wann, wo und wie die Drogen das Land verlassen. In den meisten Fällen geschieht dies durch die Hände der Paramilitärs, welche im Dienst lokaler Größen, auch politischer stehen. Und dennoch unternimmt die Regierung rein gar nichts gegen sie. Vielmehr beschuldigt sie allein die FARC für den Drogenhandel verantwortlich zu sein.
Um ihre Erfolge im Kampf gegen die FARC zu schönigen betrieb sie in den vergangenen Jahren eine ziemlich schmierige Politik, welche im vergangenen Jahr als „false-positives-Skandal“ bekannt wurde. Um die Zahl der FARC-Opfer zu steigern, entführte die kolumbianische Armee Zivilisten, ermordet sie und steckte sie in FARC-Uniformen. Es sind Fälle bekannt, in denen jungen Studenten Praktikumsplätze versprochen wurden, um sie in Busse zu locken, die sie nie wieder nach hause brachten. Fast 2000 angebliche FARC-Leichen wurden bereits als zivile Opfer identifiziert.
Leidtragende des Konfliktes ist neben der Stadt- auch die Landbevölkerung. Eigentliches Politikum sind nämlich nicht die FARC oder die Drogen, sondern Ländereien. Die Geschichte spielt sich üblicherweise folgendermaßen ab: Rebellen der FARC kreuzen auf einem Gehöft auf und essen des Bauerns Hühner, Gemüse und Früchte. Am Ende drohen sie ihm damit seine Familie zu ermorden, falls er seine Pflanzungen auf Koka umstelle (2). Dann verlassen sie das Gelände wieder und Paramilitärs erscheinen. Diese werfen dem Bauern vor mit der FARC zu kollaborieren und zwingen ihn zum Landverkauf: „Entweder Du nimmst das Geld, oder wir zahlen es Deiner Witwe.“ Auf diese Weise schließen die Paramilitärs große Ländereien zusammen, auf denen später Koka angebaut wird. Allein im Jahr 2007 weiteten sich die Koka-Plantagen um 27 % aus. Wollen sich die Bauern selbst zu einer Community zusammenschließen und Früchte anbauen, erhalten sie dafür von den lokalen Autoritäten, welche in der Regel auch die Paramilitärs stellen, keine Genehmigung. In die Enge getrieben von linker FARC und rechten Paramilitärs bleibt den Bauern oft einfach nur die Flucht. Daraus resultierende Flüchtlingscamps und Schweigemärsche habe ich schon bei Popayan und Cali sehen können.
Seit zwei Tagen ist der Ausschank von Alkohol verboten, denn heute finden hier in Kolumbien Parlamentswahlen statt. Uribes Partei befürchtet einen dramatischen Verlust. Die Menschen begrüßen die neue Sicherheit im Land. Aber das FARC-Argument zieht nicht mehr. Auch das von Uribe ins Leben gerufene Gesundheitssystem steht vor dem Kollaps. Dabei ist es für die Kolumbianer vermutlich ziemlich egal wer dieses Rennen machen wird, denn von politischer Moral ist ihr Staatsapparat weit entfernt. Der Kauf von Wählerstimmen ist in Kolumbien gängige Praxis. Dabei werden die „Wähler“ von Paramilitärs „überzeugt“. 2010 gab es für das „richtige“ Kreuz zwischen 10 und 70 US-Dollar.
Kogi-Bauern in der Nähe der Ciudad Perdida. Auch sie gehören zu den Leidtragenden des kolumbianischen Krieges um Land, Drogen und Macht.
(1) Im Gegensatz zu den linken Guerillagruppen FARC & ELN sind die rechten Milizen faschistisch geprägt. Sie sind gegen alles „andersartige“, sprich Homosexuelle, Metall-Fans, Hippies usw. Selbst ihre eigene Untergliederung und Trennung erfolgt nach der Hautfarbe ihrer Mitglieder: reine Latinos, reine Afrikanos, Latino-Afrikano-Mischlinge etc. Neben der Betreuung von Kokain-Transporten, dem Kampf gegen die FARC und der Einschüchterung von Bauern werden sie auch darauf angesetzt Journalisten, Menschenrechtler und andere Freidenker zu ermorden.
(2) Diese Darstellung erhielt ich von meinem Escobar-Historiker. Natürlich ist bekannt, dass sich auch die FARC unter anderem durch Drogengelder finanzieren. Gestern wurden übrigens 3 Leiter einer großen Supermarktkette verhaftet. Ermittlungen hatten ergeben, dass die FARC Geld in ihr Unternehmen investiert hatte.
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Er gilt als der reichste Mafiaboss aller Zeiten. Während seiner besten Jahre soll er bis zu 1,5 Millionen US-Dollar am Tag verdient haben. Als siebtreichster Mann der Welt kontrollierte 80 Prozent des internationalen Kokainmarktes. 1982 ließ er sich sogar als Abgeordneter in den kolumbianischen Kongress wählen. Pablo Escobar, ein Mann mit unschuldigen braunen Augen. Seine Ranch, die Hacienda Nápoles, umfasste einen Flugplatz, eine Stierkampfarena, sechs Swimmingpools und künstliche Seen für Wasserski. Für seinen dortigen Zoo ließ er Elefanten, Büffel, Löwen, Nashörner, Gazellen, Zebras, Flusspferde und Kamele einfliegen.
In Medellín, seiner Heimatstadt, konnte ich einen Historiker ausfindig machen, der Escobar-Führungen anbietet. Gemeinsam besuchten wir heute Gebäude die Escobar erbauen ließ, darunter ein Krankenhaus, eine Schule, Sozialwohnungen, Restaurants und Diskotheken. Die Büro- und Apartmentkomplexe waren zumeist mit einem Hubschrauberlandeplatz ausgestattet. Für die ärmere Bevölkerung von Medellin errichtete Escobar mehr als einhundert kleine Sportstadien.
Seine Karriere begann der Drogenboss mit dem Verkauf von Einzelteilen gestohlener Autos, geschmuggelten Marlboro-Zigaretten und Marihuana. Seine Bande entführte reiche Bürger und tötete sie oft auch trotz Lösegeldzahlungen. Mitte der 70er Jahre kam es zu einem Boom der Modedroge Kokain. Escobar nutzte die Verdienstmöglichkeit und baute ein gewaltiges Drogenimperium auf. Die Transporte wurden hauptsächlich mit Staffeln kleiner Sportflugzeugen durchgeführt. Aber auch ferngesteuerte Mini-U-Boote transportierten Kokain bis nach Puerto Rico. Allein von seinen beiden Hauptstützpunkten aus verließen monatlich 20 Tonnen Kokain das Land. In der Endphase ließ Escobar 10 Tonnen Kokain in einer umgebauten Boeing 727 in die USA exportieren.
1976 wurde Escobar verhaftet, gelangte aber durch Bestechung als bald wieder auf freien Fuß. Daraufhin erklärte er dem Staat und der Polizei den Krieg. Seine Losung: „plata o plomo“/ „Silber oder Blei“ – Für oder gegen mich. Auf jeden getöteten Polizisten setzte er ein Kopfgeld von 1000 Dollar aus (1). Wöchentlich kamen daraufhin allein in Medellín fast 40 Polizisten ums Leben. Die Hauptstadt Bogotá überzog er mit einem Bombenterror. In ein Gebäude der CIA ließ er einen LKW mit 160 Kg Dynamit einfahren. Es war der größte Bombenanschlag in der Geschichte Kolumbiens.
Escobar stand auf 15-jährige Mädchen. Den Minderjährigen schenkte er gern einen Motorroller. Wenn er des Mädchens überdrüssig wurde, nahm er ihr den Roller wieder weg. Wurde eines der Mädchen schwanger, wurde sie von Escobars Auftragskillern ermordert. (2)
Als 1989 der Präsidentschaftskandidat Luis Carlos Galán während einer Wahlveranstaltung ermordet wurde, intensivierte der Staat Kolumbien die Verfolgung Escobars. 1991 stellte sich der „El Doctor“ schließlich. Zusammen mit seiner Leibwache zog er in das von ihm selbst erbaute, luxuriöse Gefängnis „La Catedral“. Von hier aus kontrollierte er weiterhin den Kokainmarkt und ließ (unter anderem) Drogenhändler ins Gefängnis kommen, um sie dort zu ermorden. Nach einigen Skandalen wollte die Regierung ihn in ein anderes Gefängnis verlegen doch Escobar gelang die Flucht. Erst nach acht Monaten wurde er im Haus seiner Tante gestellt. Seinen Aufenthaltsort hatte die Polizei durch das Abhören seiner Familie herausgefunden, die in der Zwischenzeit versucht hatte nach Deutschland und Argentinien auszureisen. Zum Abschluss unserer Tour besuchten wir Escobars Grab. Es soll, nach Evita Perons, das meistbesuchte Lateinamerikas sein. Eine kleine Tafel mit seinem Namen schmückt die zwar große, aber schlichte Familienstätte. Escobar selbst hatte sich den Untersatz „Ich wollte der Kriminellste aller Kriminellen sein.“ gewünscht. Aber dagegen hatte seine Mutter etwas einzuwenden gehabt.
Eins der 70 kleineren Flugzeuge Escobars. Sie hoben etwa vier mal wöchentlich ab um Kokain in die USA auszufliegen.
(1) Für 4000 Dollar konnte man sich damals in Kolumbien ein kleines Haus kaufen.
(2) Auch seine Frau María Victoria Henao Vellejo heirate Escobar, als diese erst 15 Jahre alt war. Nach eigener Aussage wurde die Ehe als sehr glücklich eingeschätzt. Dazu gibt es folgende Geschichte: Als Escobar einmal in einer Orgie mit mehreren Frauen beschäftigt war, kam seine Frau verfrüht nach Hause. Escobar ließ seine Freundinnen schnell in ein Flugzeug steigen und über dem Haus kreisen, bis seine Frau wieder gegangen war…
Während ich heute auf einem Marktplatz der Stadt Medellín an einer Kirchenmauer lehnte, einen Eis-Cappuccino schlürfte und das Treiben vor mir beobachtete, kam ein Mädchen auf mich zu. Sie blickte mir tief in die Augen und sagte leise: „Du bist wunderschön!“. Wow. Ich war total baff. Vor Verlegenheit wusste ich gar nicht was ich sagen sollte. So etwas war mir zu Hause noch nie passiert. Ganz unverbindlich wurde ich im Laufe des Nachmittags auch noch von einigen Männern angesprochen – und in das eine oder andere längere Gespräch verwickelt. Schnell gewann ich den Eindruck in Medellín ist man Fremden gegenüber offen eingestellt. Und diese kommen, obwohl „Die Stadt des ewigen Frühlings“ (1) kulturell gar nicht so viel zu bieten hat. Abgesehen von ein paar Kirchen (2) ist die kolonialzeitliche Architektur praktisch verschwunden. Das Zentrum ist geprägt von neuzeitlichen Betonbauten. Und dennoch: Medellín ist schick. Medellín ist modern. Und seine Einwohner sind stolz darauf. Kaum ein Taxifahrer, der mich bisher nicht mit glänzenden Augen auf die supermoderne Metro neben dem Highway hingewiesen hat. Doch trotz seiner Fortschrittlichkeit hat auch Medellín mit typischen kolumbianischen Problemen zu kämpfen. Bei meinem heutigen Besuch im Stadtzentrum war ich praktisch umringt von sich feilbietenden Wesen des weiblichen Geschlechts. Um es deutlich zu machen: ich habe noch nie so viele Prostituierte auf einem einzigen Platz gesehen, wie heute Mittag im Stadtzentrum von Medellín. Man hätte meinen können ihre Gewerkschaft gebe eine Kundgebung. Dabei ist das Geschäft eigentlich auch in Medellín illegal.
Immerhin scheint die Stadt den Drogenhandel im Griff zu haben. Kein einziges mal wurde ich heute von der Seite angewispert. Und das trotz extrem geringer Polizeipräsenz. Nur die Touristen scheinen den Schuss noch nicht gehört zu haben. Auf dem Heimweg zu meinem Hostel sah ich einen Amerikaner in seinem Auto. Zwei Six-Packs und fünf Motorräder umstellten ihn. Ich konnte von der anderen Straßenseite aus sehen, wie sehr er zitterte. In Medellín wird mit Schnittblumen (3) Geld gemacht, seit Pablo Escobar und sein Kartell (4) Stadtgeschichte sind. Hatte der Ami das nicht gewusst?
(1) Da die Temperaturen selten über 30 Grad klettern oder unter 16 Grad fallen, geben die Einwohner ihrer Stadt stolz Namen wie Bella Villa oder Capital de la Eterna Primavera, Hauptstadt des ewigen Frühlings. Die Jahresdurchschnittstemperatur beträgt 24 Grad.
(2) Sehenswert ist die Catedral Metropolitana. Sie gilt als die größte Backsteinkirche Südamerikas.
(3) Die Stadt ist berühmt für ihre Gartenanlagen, ihre Blumen und die Vielfalt der Orchideen, die hier heimisch sind. Deswegen hat Medellin auch den Beinamen Capital de las Flores (Hauptstadt der Blumen).
(4) In den 1980er Jahren litt Medellin unter der Macht des Medellín-Kartells, das eine führende Rolle im weltweiten Handel mit Kokain einnahm.