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Venezuela – Auf der Durchreise

Im Bus nach Venezuela war ich umgeben von Brasilianern. Alle waren in verschiedenen Orten zugestiegen. Doch man unterhielt sich und scherzte, als ob man sich seit Jahren kennen würde. Und obwohl ich nicht alles verstand, band man mich immer wieder in die Diskussion mit ein. Als es Nacht wurde kuschelten sich die Sitzpartner aneinander. Auf meinen verdutzten Blick murmelte man nur schelmisch: „Es ist doch kalt!“. Zu meinem Erstaunen war es auf venezulanischem Boden mit der menschlichen Wärme urplötzlich vorbei. Von den Venezulanern wurde ich nicht gegrüßt, ja nicht mal eines Blickes gewürdigt. Ich fühlte mich, als wäre ich unsichtbar. In den Kantinen war ich der letzte, der sein Essen bekam. Und selbst in kleinen Kiosken, in denen ich der einzige Kunde war, musste ich darauf drängen bedient zu werden. Während meiner ganzen Zeit in Venezuela hatte ich das Gefühl, nicht willkommen zu sein. Es gab niemanden, der sich mit mir unterhielt, niemanden der mir mehr als meine gestellte Frage beantwortete.
Eine Ausnahme bildete der deutsche Hostelbetreiber Gerhard. Bereits vor 17 Jahren hat er sein Zelt in Venezuela aufgeschlagen. Ich bat ihn mir etwas über die politische Situation zu erzählen. Doch meine Frage wischte er mit einer Handbewegung und dem Satz hinweg, ob ich ihm denn den Tag verderben wolle. Da ich aber sehr höflich gefragt hatte, nahm er sich dann doch etwas Zeit. Chavez wirtschafte das Land zu Grunde. Alles sei sanktioniert. Strom und Wasser werden regelmäßig abgestellt, manchmal für Tage. Selbst Speiseöl sei rationiert. Dabei sei Venezuela reich an Erdöl. Aber eben auch genauso korrupt. Erst kürzlich habe man einen Staudamm fertig gestellt, der nur die minimale Leistung bringen würde. Das Geld für die fehlenden Motoren hätten sich die Bauherren eingesteckt. Chavez fördere die Monopolisierung, bis nur noch ein einziges Unternehmen übrig bleibt. Dieses würde sodann verstaatlicht und der Direktor ins Gefängnis gesteckt. So geschehen erst vor wenigen Tagen mit dem Eigentümer der einzigen verbliebenen Biermarke in Venezuela, Polar. In Ciudad Bolivar steht ein Traktorenwerk. Und jeder wisse, dass dort Uran für den Iran angereichert werde. Mit den Arabern sei man dick im Geschäft, aber Israelis wird die Einreise ins Land nicht gestattet. Die Anhänger von Chavez leben vorrangig in ärmeren Barrios. Sie erhalten ein rotes T-Shirt, täglich eine warme Mahlzeit und monatlich einen Check. Ob das Existenzsicherung oder Stimmenkauf sei, wäre nicht fraglich. Der Opposition würde der Urnengang erschwert. Die Wahlbüros befänden sich zum Teil über Hundert Kilometer von den oppositionsstarken Gegenden entfernt – und der Busverkehr werde zum Zeitpunkt der Wahl frühzeitig eingestellt. Sein Hostel will Gerhard verkaufen. So schlimm, wie im Moment sei es noch nie gewesen. Und Hoffnung auf Besserung habe er nicht. Venezuela hat einiges zu bieten, wie die Tafelberge von Roraima, malerische Karibikinseln und den Salto Angel, den höchsten Wasserfall der Welt, der sich 979 m in die Tiefe stürzt. Dennoch gäben 80 Prozent der Touristen ein negatives Feedback von ihrem Aufenthalt ab. Entweder wurden sie auf der Straße überfallen oder von Polizisten ausgenommen. Deren Handeln sei absolut willkürlich. Entdecken die „Ordnungshüter“ bei Rucksackreisenden Geld, eine Kamera oder irgendetwas anderes, dass ihnen gefällt, behielten sie es einfach ein. Hinzu kämen finanzielle Hindernisse. Banken tauschten Euros gegen Bolivianos 1:5. Zum Vergleich: Ein Hamburger mit Pommes kostet bei MC Donald 45 Bolivianos, umgerechnet also 9 Euro. Der Schwarzmarkt tausche 1:9. Klar, dass man ihm den Vorzug gäbe.

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Mit mehr als 12 km Länge gilt der Teleferico in Mérida als längste Seilbahn der Welt. Aber zum Missmut aller Einwohner ist der Touristemagnet seit 2 Jahren geschlossen. Für Chavez-Kritiker ein weiteres Indiz für Misswirtschaft.

Das man nach Venezuela Devisen mitbringen muss, war mir bekannt. Und Euros oder US-Dollar zu wechseln wäre auch an jeder Straßenecke möglich gewesen. Da ich aber bereits seit 9 Monaten unterwegs bin, habe ich weder die eine noch die andere Währung im petto. Deshalb deckte ich mich in Brasilien mit Reales ein. Leider wollte die in Venezuela keiner haben. Ich durchlief eine ganze Odyssee, fragte bei Goldschmieden, Schmuckhändlern, in großen Hotels und vielen Hostels nach. Doch all mein Bemühen an die Landeswährung zu gelangen bzw. meine Reales los zu werden war vergeblich. Und schließlich wurde mir in einem brasilianischen Hostel auch noch einmal der krasse Mentalitätsunterschied bewusst. Man bat mich höflich herein und bot mir ein Bier an. Jeder brasilianische Hotelgast wurde aus seinem Zimmer geholt, mein Problem eingehend diskutiert. Dabei war die Stimmung so herzlich, als würden wir gerade eine Party feiern. Der Chef des Hotels telefonierte sein gesamtes Adressbuch durch. Nur helfen konnte man mir nicht. Auch meine Visa-Karte funktioniert in Venezuela nicht. Und so bleibt mir nichts anderes übrig, als das Land zuegig wieder zu verlassen. Egal, bedauern werde ich es nicht.

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Am besten haben mir in Venezuela die alten, amerikanischen Schlitten imponiert. Dodges, Chevrolet Malibu Classic, Ford Mustang u.a. schmücken jedes Stadtbild und waren immer wieder eine Augenweide.
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Ciudad Bolívar – Vive el Libertador

Jeder zentrale Marktplatz Venezuelas ist nach ihm benannt, doch diese Stadt schmückt sich sogar mit seinem Namen: Ciudad Bolívar. An einer Verengung des Orinoco gelegen, war sie während des Freiheitskrieges nur schwer einzunehmen. Doch dem General gelang es. Simon Bolívar vertrieb die Spanier und gliederte die Provinz der Republik Venezuela an. Und nicht nur das. In den folgenden Jahren führte er auch die Befreiungsbewegungen in den heutigen Staaten Kolumbien, Panama, Ecuador, Peru und Bolivien an. Der spanischen Herrschaft entriss er ein Imperium, fünfmal so groß wie ganz Europa. Er hatte die krummen Beine alter Reiter, den Gang derer, die zum Schlafen die Sporen nicht ablegen, ein Streifen rauher Hornhaut am After trug ihm den ehrenhaften Spitznamen „Eisenarsch“ ein. Achtzehntausend Meilen legte er während der Kriege auf einem Pferderücken zurück: mehr als zweimal rund um die Welt. Dabei stand weit oben auf seiner Fahne die Abschaffung der Sklaverei. Was für eine Leistung! Doch woher der Antrieb? Viel darüber weiß man nicht. Sein Diener fasste es so zusammen: „Was mein Herr denkt, weiß nur mein Herr.“ Bekannt ist, dass Bolívars Frau nach nur einem Jahr Ehe an Gelbfieber starb. Bekannt ist auch, dass er in Paris auf Alexander von Humboldt traf. Dieser soll zu ihm gesagt haben, er halte Venezuela reif für die Unabhängigkeit. Er kenne nur niemanden, der so etwas erreichen könne. Daraufhin soll Bolívar seine Koffer gepackt haben, und in sein Heimatland zurückgekehrt sein.

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Spuren aus seiner Zeit beleben in Ciudad Bolívar so gut wie jede Straßenecke. Das Haus, in dem er Unterschlupf fand, sowie das Kongressgebäude, in dem er die Unabhängigkeit Großkolumbiens ausrief werden von der Stadt bestens in Schuss gehalten. Eintritt und Führungen sind im kommunistischen Venezuela selbstverständlich kostenlos. Offiziell nennt sich das Land sogar Bolivarische Republik Venezuela. Und selbst seine Währung trägt den Namen des Generals. So viel Ehrerbietung hätte dem Libertador sicherlich geschmeichelt. Doch dafür ließen sich die Südamerikaner nicht viel Zeit. Gleich nach dem Rausschmiss der Spanier begannen sie sich um die gewonnenen Ländereien zu streiten. Während dem Visionär Bolívar ein vereinigtes Südamerika vorschwebte, zersetzten die „Kleingeister“, Großkolumbien. Blutige Bürgerkriege zwischen Liberalen und Konservativen verwüsteten die Republik. 1830 schlugen Oligarchen, politische Gegner und der aufgestachelte Pöbel den Befreier in die Flucht. Und noch bevor er sein Exil auf den karibischen Inseln oder in Europa – wo es hingehen sollte, wusste er selbst nicht so genau – erreichen konnte, verstarb er in Santa Marta an der Nordküste Kolumbiens – an Syphilis, Tuberkulose …oder Arsen? Erst gut 10 Jahre später begann seine Verehrung als Held.

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Ein schickes Buch zur Person hat Gabriel García Márquez geschrieben: Der General in seinem Labyrinth, Fischer, 1989.
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Nukak Makú – Die einzig „wahren“ Menschen

Es gibt sie noch, die „wilden“, indianischen Stämme. Im Lendenschurz und mit Blasrohren bewaffnet ziehen sie durch den dichten Regenwald am Amazonas. Und jagen Affen. Der „Weiße Mann“ ist ihnen durchaus bekannt. Doch nehmen sie vor ihm reiß aus, ziehen sich immer weiter zurück, in noch unberührte Regionen des Dschungels. Vor nicht allzu langer Zeit konnte sich einer dieser Stämme nicht weiter zurück ziehen. 1988 wurden die Nukak-Makú von modernen Conquistadoren entdeckt. Missionare eilten in das Gebiet. Und schleppten Krankheiten ein. Masern und Grippe dezimierten die Zahl der Nukak von 3000 auf 600, als wäre der historische Zusammenhang nicht bekannt. Und dem Übel nicht genug, rückte auch noch die FARC an und vertrieb die Nukak aus ihrem Stammesgebiet. Die Regierung half aus und wies den Indianern einen Park zu.

Dort sammeln die Nomaden heute ihre Nahrungsmittel. Auch bei weißen Siedlern in der angrenzenden Umgebung. Hühner, Reis, Yucca, und Kartoffeln. Doch als „Diebstahl“ betrachten die Nukak das nicht. Denn von Eigentum und Besitz haben die Nomaden eine ganz eigene Auffassung. Wer zu viel hat, teilt. Und der Weiße Mann hat ganz bestimmt „zu viel“. Jagt ein Nukak fünf Affen übergibt er einige automatisch der Gemeinschaft. Und das gleiche Verhalten mutet er auch Fremden zu. Denn in der Akkumulation von Dingen erkennen die Nukak keinen Sinn.
Moderne Errungenschaften wie Handy, Fernseher und Flugzeug sind durchaus bekannt. Doch sorgen sie nicht für Verwunderung. Es sind keine Zeugnisse von Überlegenheit. Von Bedeutung für die Nukak sind lediglich die Natur, Gesundheit und der „Spirit“, der allem „Natürlichen“ inne wohnt. Um den „Spirit“ zu treffen, ihn zu erleben, wird  Ayahuasca getrunken. Und auf den Weg der Erkenntnis leitet ein Schamane.
Abgesehen vom Weißen Mann kennen die Nukak Indigene, sprich Vertreter anderer Stämme. Doch beide „Arten“ von Fremden werden nicht sonderlich „respektiert“. Im Gegensatz zu jenen, halten die Nukak sich selbst für die einzig „wahren Menschen“, „the real people“. Denn nur sie selbst wurden vom „Spirit“, vom Geist des Waldes erschaffen. Und nur sie sind in der Lage diesen zu erkennen. Der Weiße Mann hingegen fällt Bäume. Er tötet den Spirit. Für die Nukak ist das ein Verbrechen.

So unglaublich wie sich diese Vorstellungswelt anhören mag, so unauffällig sind die Nuka heute gekleidet. Sie mögen Badelatschen, weiße T-Shirts und Sonnenbrillen. Und natürlich Geld! Denn dafür kann man sich alles kaufen. Auch das man es sich verdienen muss, ist bekannt. So klopfen sie durchaus an die Türen von Farmen und verdingen sich. Doch nach ein paar Tagen ziehen sie wieder weiter. Denn, wie gesagt, der Anhäufung von materiellen Dingen, wie eben auch Geld, messen sie keine Bedeutung bei.
Was mir die Nukak besonders symphatisch macht, ist ihre Vorliebe für Hängematten. Manche sind so groß, dass ganze Familie darin Platz finden. Sollte jemals jemand nach einer passenden Bezeichnung für ihre Kultur suchen, kann er getrost auf das treffende Wort „Hängemattenkultur“ zurückgreiffen. Da die Suche nach Nahrung im reichen Regenwald nicht viel Zeit in Anspruch nimmt, verbringe sie den größten Teil des Tages nämlich in eben diesen.
Besonders irritierend in der Lebenswelt der Nukak ist ihre Methode soziale Probleme zu lösen. Sind sie unzufrieden mit einer Situation und wissen sich nicht mehr anders zu helfen, nehmen sie ein Gift zu sich, mit dem sie normalerweise Fische jagen. Sie begehen sozusagen Selbstmord. Das Gift ist nicht zwangsweise tödlich, versetzt die Familie jedoch in helle Aufregung. Das Problem wird diskutiert. Meist fällt danach eine Entscheidung zugunsten des Attentäters. Und wenn er Glück hat, erlebt er auch noch seinen Vorzug.
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Leticia – 2:1 gegen Nordkorea

Die Grenzorte Leticia (Kolumbien), Santa Rosa (Peru) und Tabatinga (Brasilien) liegen nur wenige hundert Meter von einander entfernt. Grenzkontrollen finden so gut wie nicht statt. Und den Einwohnern sieht man normalerweise nicht an, aus welchem Ort sie stammen, wo sie leben oder arbeiten. Heute bekannten die Brasilianer jedoch Farbe. Selbst in Leticia leuchteten die Straßenzüge grüngelb bei Sonnenuntergang.
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