Na? Wer erkennt den jungen Mann hier links oben im Bild? Ja, unglaublich aber wahr – es ist Vinnie Graves, mein Roommate aus der Antarktis! Als ich gerade meinen letzten Tagebucheintrag online gestellt hatte und zum Sonnenuntergang am Strand spazieren wollte, da stand er plötzlich vor mir. Erst sah ich ihn nur von hinten und rief: „Vinnie, is it you?“. Er drehte sich um und jetzt war ich mir sicher: Es war Vinnie, der US-Amerikaner, mit dem ich 2 Wochen lang den schönsten Trip meines Lebens genossen hatte. Mit einer Umarmung hatten wir uns am 18. November 2009 in Ushuaia, an der Südspitze Argentiniens, verabschiedet. Und heute, ziemlich genau 3 Monate später, treffen wir uns an der Nordspitze des Südamerikanischen Kontinents wieder. Was für ein riesen Zufall! Dabei wohnte Vinnie nicht einmal in meinem Hotel! Er hatte 2 Straßen weiter eingecheckt und war nur vorbeigekommen, um das berühmt berüchtigte Backpackers zu besichtigen, in dem auch ich nur zufällig untergekommen war. Während ich in den vergangenen 90 Tagen die Westküste hinauf gereist war, hatte sich Vinnie an der Ostküste durch Brasilien und an der Nordküste durch Venezuela geschlagen. Und genau hier in Santa Marta/ Kolumbien waren wir wieder aufeinander getroffen – und das 3 Tage vor Vinnies Rückreise in die USA. Sein Trip war zu Ende und ebenso wie ich, hatte er viel zu erzählen. Eine lange Nacht stand uns also bevor.
Und diese wurde länger, als ich mir das je ausgemalt hätte. Eins der Delikte, weswegen wir am Strand verhaftet wurden, war „das Nichttragen eines Passes“. Klar hat man so ein Ding (oder zumindest eine Kopie davon) immer dabei. An diesem Abend aber hatte ich es eben nicht. „Handschellen klicken und ab ins Gefängnis schicken“ war angesagt. Die Polizisten wirkten absolut seriös. Peinlichst genau nahmen sie ein Protokoll auf. Ich war mir sicher, zumindest die nächsten Tage im kolumbianischen Knast zu verbringen. Doch dann passierte etwas merkwürdiges. Einer der Polizist begleitete uns zum Hostel. Und: er wartete nicht direkt vor der Hosteltür, sondern auf dem Marktplatz, halb schräg davor. Ich holte meinen Pass – und natürlich Geld. Nachdem ich wieder auf der Straße erschienen war, traten wir einen langen Marsch durch die Seitenstraßen Santa Martas an. In einer ziemlich dunklen Gasse blieben wir unter einer Laterne stehen. Ob ich die Gesetze seines Landes nicht respektieren würde, fing der Polizist an mich zu verhören. „No! Si! Claro!“, stammelte ich. Dann wollte er wissen, wie das denn in einer solchen Situation jetzt in Deutschland wäre? Und ob ich denn verstehen würde, dass sie uns jetzt mit aufs Revier nehmen müssten. „Si! Claro!“, pflichtete ich ihm bei. Meine Hoffnung sank ins bodenlose. Plötzlich sah ich mich für einen langen Moment ein dickes Buch schreiben: „Meine Lebensjahre im kolumbianischen Knast“. Doch auf einmal schwenkte der Polizist um, er könnte uns helfen, meinte er jetzt. Ich dachte ich hätte mich verhört, doch auch Vinnie schaute mich verdutzt an. Das war also der Moment, wo man das Geld raus holen musste, dachte ich mir und streckte dem Mann in straffer, grüner Uniform alles hin, was ich an Banknoten hatte. „100 US-Dollar kostet der Strafzettel, gab er zurück und zählte nach. Dann gab er mir 26 Dollar wieder. Jetzt wurde Vinnie wach und fragte, ob er denn nicht auch das Protokoll und den Strafzettel zerreißen könnte, so das nichts von dieser unangenehmen Geschichte übrig bliebe… „Claro! Gab der Polizist zurück und zerschnippselte im Handumdrehen seine wertvollen Notizen. Was für eine schräge Nummer dachte ich mir auf dem Rückweg. 100 Dollar kostet es also. Und eine Kolumbienreise ist kein echtes Abenteuer, wenn man nicht wenigstens einmal verhaftet wird. Ich lächelte wieder und dennoch: der Schock saß tief…
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