Skip to content


Schwerer Abschied von El Bolsón

Von El Bolsón abzureisen ist mir wirklich schwer gefallen. In 10 Tagen habe ich dort so viel erlebt, so viele nette und liebe Menschen kennen gelernt, wie noch kaum an einem anderen Ort zu vor. In der Casa del Viajero herrschte ein ungezwungener Gemeinschaftsgeist, der jeden Neuankömmling herzlich empfing. Und wer den weiten Weg hierher auf sich genommen hatte, der wollte sich auch fallen lassen und verweilen. Action-Sportarten wie Rafting oder Kiten standen zwar nicht zur Auswahl, doch dafür gab es täglich ein Natur-High-Light zu entdecken. So wanderten wir zum Cajón del Azul, kletterten auf den Cerro Piltriquitrón und fischten im kristallklaren Rio Negro. Wir badeten in Wasserfällen, tranken heimisches Bier mit den Gauchos und genossen drei Tage lang die spontanen Klänge auf einem Jazzfestivals. Wir frühstückten zusammen, wir kochten zusammen und wir aßen zusammen zu Abend. Es fühlte sich an, wie ein Leben in einer großen Patchwork-Familie mit absoluter Gleichberechtigung: Da war Hannah, ein zwanzigjähriges Hippie-Girl aus Seattle, das noch nicht so recht wusste, wohin mit ihrem Leben; Und Dawn, aus Maine/USA, Spross aus einer patriotischen Militärfamilie, die ihr familiäres Erbe nicht fortführen will und jetzt paradoxerweisse als Lehrerin für schwer erziehbare Kinder tätig ist. Erbschaftsprobleme ganz anderer Art hatte Gé, ein kleiner verschmitzter Brasilianer. Seinem Vater gehörte einst das zweitgrößte LKW-Anhänger-Werk Brasiliens. Doch im Zuge blutiger Monopolisierungsstrategien wurde seine gesamte Familie ermordet. Mit dem nachdenklichen Mathematiker Dan spielte ich täglich Schach. Ebenso mit dem trockenen Schweizer Patrick. Dieser hatte seinen Reisegefährten bei einem tragischen Lawinenunglück in Peru verloren und so eine läuternde Erfahrung der unangenehmen Art machen müssen. Isabell, eine blonde, junge Schönheit aus Holland hatte den ganzen Weg von Peru bis Argentinien mutig alleine bestritten, sich dann aber vor unserer Haustür von einem Hund beißen lassen. Über seine acht Dienstjahre beim israelischen Militär wollte Mayan nicht sprechen. Dennoch freut er sich schon jetzt auf seine Rückkehr ins gelobte Land, weil er dann kleine Leichtflugzeuge (Drohnen) bauen darf, um die Feinde Israel auszuspähen. Dann gab es da noch den holländischen Sportstudenten Peter – der immer einen lustigen Spruch auf den Lippen hatte. Regelmäßig kam uns Noémie besuchen, eine niedliche, freche Kanadierin, die nach Abschluss ihres Kunststudiums beschlossen hatte Bäuerin zu werden und jetzt auf einer patagonischen Farm dazu lernt… und nicht zu vergessen: Casimir (ihn hatte ich schon in Ushuai kennengelernt!), ein holländischer Künstler, der an amerikanischen Universitäten unterrichtet, sehr spirituell eingestellt ist, mich mehrfach hypnotisch dazu gebracht hat, meinen Standpunkt zu ändern… und mit aller Vorliebe den Mädchen nach dem Abendbrot den Rücken massiert – bis sie zu stöhnen beginnen.
Ohne die Liste beenden zu müssen erkennt man bereits: wir waren ein bunter Haufen und das einzige, was uns verband, war eine Vorliebe fürs Reisen und Südamerika. Auch wenn dies bereits zu genügen scheint, so hafteten Ausgeglichenheit, Harmonie und Glück, nicht nur an den Menschen, sondern auch an der Casa del Viajero“ oder gar der ganzen Stadt El Bolsón. Die Backpacker kamen, verweilten ein paar Tage und reisten wieder ab. Doch die Stimmung blieb! Wie von unsichtbarer Hand wurde sie von den Gehenden auf die Kommenden übertragen. Und ich bin mir sicher, dass auch heute Abend wieder eine handvoll Menschen aus den verschiedensten Ländern mit den unterschiedlichsten Anschauungen in Augustinos Küche sitzt, und nach einem leckeren gemeinsamen Abendmal, bei einer Flasche Rotwein und einem verrückten Kartenspiel über die Geschehnisse in der Welt, die Liebe oder das Leben philosophiert.
.

IMG_7711
.

(*) Dawn schwört auf ihr „Insiderwissen“ und glaubt daran, dass in den USA bald eine Revolution ausbrechen wird. 9/11 war ein Insider-Job. Das beweise schon das geschmolzene Metall – das hätten die Flugzeuge nie bewirken können. Die Militärs werden putschen und zu den Waffen greifen. Obama würde nicht dem Volk, sondern den gleichen Familien dienen, wie schon G. W. Bush vor ihm. Bei Demonstrationen würden mittlerweile Fahrzeuge eingesetzt, die hohe Töne ausstoßen und die Ohren zum Bluten bringen. Und wenn man sich derzeit in der Öffentlichkeit negativ über US-amerikanische Politik äußert, werde man angezeigt…

.

pixelstats trackingpixel

Posted in Argentinien.

Tagged with .