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Die Geschichte vom verlorenen Rucksack

(gewidmet Katharina Weber)

Schwarz, elegant und offenbar belastbar zog er mich sofort an. Auch fühlt er sich gut an. Er hat ein V-Free Flex TM™ Gurt-System mit einer einzigartigen Anpassung. Seine Gurtbänder entlasten durch eine Butterfly Bridge™-Konstruktion die Nackenmuskulatur und die Pivot-Konstruktion bei der Hüftgurt-Befestigung bietet maximale Bewegungsfreiheit… die Rede ist von einem Mjölner-75l -Klättermusen-Rucksack, genauer gesagt: meinem Klättermusen-Rucksack. Es war Liebe auf den ersten Blick. Und eigentlich hatten wir uns erst drei Tage vor meiner Abreise kennen gelernt. Doch wir verstanden uns auf Anhieb. 500 Takken sind kein Pappenstiel. Doch der Gedanke jeden Morgen, jeden Abend und die gesamte Zeit dazwischen mit ihm teilen zu dürfen, überzeugte mich sofort. Wenn ich ihm was erzähle, hört er mir zu. Und wenn ich es mir nur lange genug vorstelle, fliegt er sogar neben mir her. Kurzum, wir waren von der ersten Sekunde an ein Paar. Leider währte unsere traute Zweisamkeit nur für kurze Zeit. Schon in Frankfurt am Main wurden wir voneinander getrennt. Und meine Hoffnung, ihn zumindest bei meiner Zwischenlandung in Madrid kurz in die Arme schließen zu können, platzte durch den protokollarischen Einwand einer Lufthansa-Angestellten. Mein Zwangsaufenthalt in Madrid ließ meine Sehnsucht nach ihm ins unermessliche steigen. Und als ich ihn auch bei meiner Ankunft in Buenos Aires zwei Tage später noch nicht wieder an mich drücken konnte, war meine Geduld bereits aufs äußerste strapaziert. Doch es sollte noch schlimmer kommen. In Sorge um seinen Zustand, sein Verbleiben überhaupt, suchte ich, der Verzweiflung nahe, nach Jemandem der mir Auskunft geben konnte. Ich wendete mich also noch am Flughafen an die für seinen Transport verantwortliche Fluggesellschaft „Air Comet“, von der auf dieser Seite schon öfter die Rede war. Voll Optimismus führte mich daraufhin ein kurzsichtiger Brillenträger in einen Raum, in dem ein Wiedersehen mit meinem geliebten Rucksack zu erwarten gewesen wäre. So groß, wie der Stolz des Angestellten über seinen Gepäckschatz war, so groß war meine Enttäuschung. Sofort begann ich, ihm eine detaillierte Beschreibung von der Formschönheit meines Mjölners zu vermitteln. Doch entweder blind oder taub, begann dieser daraufhin, mir alle vorhandenen Gepäckstücke anzupreisen. Klar war das eine handlich, ein anderes schwarz, ein weiteres lang und groß… doch in seinem Kopf wollten sich die Adjektive nicht zusammen addieren. Mein Vertrauen in seine zwischenzeitlichen Bemerkungen, wie „…etwas Ähnliches ließe sich schon aufreiben…“, schrumpfte ins bodenlose. Dann bat er mich, doch in seinem Büro Platz zu nehmen, was ich auch tat. Ich hatte seine Zeit in Anspruch genommen. Jetzt waren Andere dran. Im Nachbar-, sowie in und vor seinem Büro hatte sich bereits eine Traube von mir bekannten Fluggästen gebildet, die nur langsamer als ich gewesen waren aber offenbar ein ähnliches Problem hatten. Ganz zur Freude des Kurzsichtigen, fand aber fast jeder Passagier ein Täschchen, dass ihm gefiel. Bis auf zwei oder drei, denen er kleine Zettel mit einer Adresse zusteckte. Gut, das war also meine nächste Anlaufstelle. Und mit der Telefonnummer seiner Kollegin, musste ich mich dann auch zufrieden geben. Man würde mich anrufen und den Rucksack an meine CS-Adresse liefern, sobald er ankäme – das versicherte man mir noch. Soweit so gut. Nur, daran zu Glauben, meinen heiß geliebten Rucksack in naher Zukunft wiederzusehen, gelang mir nicht. Im Prinzip eine erste Lektion, mich in Geduld zu üben. Doch die Sehnsucht nach meinem Begleiter ließ mir keine Ruhe. Am nächsten Tag suchte ich das Headquarter der „Air Comet“ in Buenos Aires auf. Dort wollte ich eh den Check über 600 Euro einlösen, dessen Höhe schon in Bezug auf meinen seelisch erlittenen Schaden als unangemessen angesehen werden kann und was sich ebenfalls als Problem herausstellen sollte. Zuerst wollte mich die Dame gar nicht bedienen. Als ich ihr erklärte, dass ich erst in knapp einem Jahr wieder nach Europa fliegen werde, fragte sie mich, ob ich mein Problem denn dann nicht in Lima/Peru lösen könnte… Damit wurde sie mich natürlich nicht los, was sie dann Gott sei Dank auch einsah. Sie nahm meine Papiere an und ließ dabei – vielleicht aus Wut? – fallen, dass sowieso „Niemand“ die Autorität hätte, solche „Wunschzettel“ auszuzahlen… Spätestens an dieser Stelle musste ich meine „Air Comet“-Erfahrung aus Madrid korrigieren: „Auch wenn Dir egal ist, wann Du ankommst: Fliege NIEMALS mit „Air-Comet!“. Für den Fall, dass ich in 3 Monaten noch kein Geld auf meinem Konto haben sollte, gab sie mir eine Telefonnummer. Seit dem habe ich diese Nummer an jedem Tag, zu jeder Tageszeit angerufen. Doch die Computerstimme ist einfach kein Ersatz für meinen Mjölner. & ich will auch nicht aufgeben. Den Spruch „Pass auf! Verzweiflung und Wahnsinn liegen nah beieinander“ hatte mir MM (*) noch mit auf die Reise gegeben. Wie Recht er doch hatte! Nun lenkte ich das Thema auf meinen Rucksack. Und um es abzukürzen: Der Manager versprach, mich am nächsten Tag anzurufen. Auch das Flughafenpersonal in BA hatte eine vorsichtige Ankündigung für den kommenden Morgen gemacht. Ich erduldete also eine weitere Lektion in Demut. Zum Verständnis für meinen schmachtenden Zustand, sollte ich an dieser Stelle vielleicht noch einmal das Argument der starken Anziehungskraft meines Mjölners auf mich deutlich machen. In diesem scheinbar überteuerten Behältnis befanden sich nämlich nicht nur Socken, Unterwäsche, ein Handtuch, Zahnbürste und sonstige Gegenstände des täglichen Gebrauchs. Um es zusammenzufassend zu sagen: ALLE von mir nötigen Sachen, um auf menschliche Weise fortzuleben, befinden sich in der torsionssteifen Rahmenkonstruktion aus Sandvik! Am nächsten Morgen wollte ich es jedenfalls wissen: Wo ist mein Mjölner?! Pünktlich mit der ersten Maschine aus Madrid, hatte ich den Hörer in der Hand. Wie schön, ein „Frei-Ton“, dachte ich erst. Aber auch dieses Geräusch wirkt nach spätestens 1,5 Stunden verdächtig. Ebenso der Anrufbeantworter des Managers. Und man bedenke, es war bereits Freitag. Ich sprang in ein Taxi und hielt auf den Flughafen zu. Ohne Rede und Antwort wollte ich den Kurzsichtigen auf keinen Fall ins Wochenende entwischen lassen. Und das gelang mir auch. Zumindest war ich am Ende des Tages stolz auf mich und das, was ich erreicht hatte. Es war auszuschließen, dass sich mein Rucksack in Buenos Aires oder Lima befand! Den Flughafen von Buenos Aires hatte ich in Begleitung einer Angestellten untersucht. Der Flughafen in Lima wurde von einem „Air-Comet“-Suchtrupp vor Ort unter die Lupe genommen. Die Idee mit Lima war mir gekommen, als mir einfiel, dass am Schalter in Madrid Passagiere nach Buenos Aires & Lima gemeinsam abgefertigt wurden. Und tatsächlich! In Lima wurden Koffer gefunden, die nach BA gehörten! Nur Rucksäcke eben nicht. Glück für meine Leidensgenossen. Pech für mich. Die Nuss „Madrid“ war nicht zu knacken. Mjölner stand vermutlich einsam und verlassen auf einem leeren Parkplatz, wie ein Kind das im Sandkasten vergessen wurde. Es muss sein schlechtes Gewissen gewesen sein, was den Brillenträger zu einer großzügigen Spende für meinen Verlust verleitet haben muss, bot er mir doch tatsächlich 100 US-Dollar an und die großartige Möglichkeit doch endlich nach Hause zu gehen. Er wollte es einfach nicht kapieren! Zu seinem Glück tauchte dann eine junge Dame auf, die mir dann doch noch ein wenig Hoffnung injizierte. Sie nahm noch einmal alle Anhaltspunkte auf, die eine Spurensuche zum Sandkasten ermöglichten. Wieder verstrich eine Nacht in Demut. Und dann passierte etwas absolut überraschendes. Via Skype schickte mir meine Freundin Kathy einen Link mit dem ich meine Gepäcknummer bei Lufthansa verfolgen konnte. Und während wir beide die Seite überflogen blinkte es auf einmal auf: GEPÄCKANHÄNGERNUMMER: LH365962 LOKALISIERT IN MADRID ! Wow! Das war doch mal ne Nachricht! Während ich mit den Gladiatoren von „Air Comet“ in Buenos Aire
s gerungen hatte, hatte Kathy ein Heer von Emails in den Kampf geschickt, Telekommunikations- und Netzanbieter bereichert und freundliche Menschen in Deutschland und Madrid um Auskunft gebeten. Und mit einem mal war es Schwarz auf Weiß auf meinem Bildschirm zu lesen. Mjölner war gefunden worden! In Madrid! Wo genau ließ sich der Seite nicht weiter entnehmen. Aber nach seiner Streckenbeschreibung zu urteilen müsste er in 6,5 Stunden in BA landen und ich werde da sein und ihn endlich wieder in die Arme schließen können! Kathy hatte ihn gerettet! & mich natürlich auch! Mjölner ist auf dem Weg zu mir! Draußen regnet es. Ein Blitz zerreißt die Nacht. Und für einen kurzen Moment, scheint der Verkehr vor dem Balkon zum erliegen zu kommen – und der Stadt ein wenig Frieden zu schenken. Danke Kathy!

*) an dieser Stelle ist die Wahrheit der Geschichte zum Opfer gefallen. Wortwörtlich hatte ich von MM folgenden Hinweis erhalten: „Sei vorsichtig Dominik! Wie Du weißt, liegen Mut und Leichtsinn nah beieinander!“ (MM – ich hoffe Du verzeihst mir!)

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Mit Mjölner in BA – ein fantastisches Gefühl ihn dabei zu haben!

So! Mjölner und ich sind wieder vereint. In einer letzten Schlacht kämpfte ich gegen die Comet-Soldaten, wie Kafkas Held gegen die Wächter in „Vor dem Gesetz“ – im Gegensatz zu ihm, ließ ich mich natürlich nicht einschüchtern… Jetzt ruht Mr. Klättermusen in einer Ecke meines Zimmers. Seine Seitentaschen hängen etwas traurig herab, weil ein paar Karabiner fehlen. Aber das wird schon wieder! 😉

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Posted in Argentinien.

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10 Responses

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  1. *** says

    cada vez una alegría grandísima para leer!!! sigue así, añoramos más 🙂

  2. nureinekugel says

    Was für n krass geiler Rucksack mann und was für ne heftige Erfahrung, am Ende der Welt ohne Equipment aufzuschlagen. Oh mann, wie war ich bei dir, als ich das grad mit großen Augen und nem 185er Puls gelesen hab. Totsicher wäre ich auf der Stelle gestorben, glaub mir mann, Freunde wie Kathy retten da Leben mit einem Anruf. Jetzt wird alles gut.

    Grüße aus Dresden, Sören

  3. Paps und Mam says

    Gratulation, nun können wir auch wieder etwas besser schlafen.
    Paps & Mam

  4. teik says

    na dann habt eine schöne gemeinsame nacht…! 😉

    Sehr geile Berichte übrigens, macht Spaß zu lesen

  5. kathy says

    das bild ist es, welches ich sehen wollte…wenn mal wieder was fehlt….du weißt ja wo ich bin :)…ich stelle die welt auf den kopf und schüttel solange bis alles was fehlt, wieder da ist :)…

  6. Kathleen says

    Eine schöne Geschichte, trotz der persönlichn Dramatik natürlich. Ich mag Deine Schreibe und bin gespannt auf weitere Abenteuer.Dein Cousinchen.

  7. sur says

    ich sag nur: handgepäck und kreditkarte reichen meist!!
    haha

  8. Umzugshelfer1000 says

    Ach knuffel,

    V-Free Flex TM™ Gurt-System, Butterfly Bridge™-Konstruktion und Pivot-Konstruktion bei der Hüftgurt-Befestigung haben wir bei deinem Umzug auch nich gebraucht 😉 und es hat trotzdem geklappt. Es ist aber sehr schön das du das gute stück wieder hast. Und ich gebe deiner cousine recht…du hast ne sehr schöne schreibe. Haste es denn zu der WM- Quali geschafft?

    Gruß von sumsum und mir ausm leider rägnarischn Leibzsch

  9. HaRBo says

    Hi Dom, escucha muy bien y de muchas aventuras para el principio. Espero, la felicidad permanece leal a Ti. HaRBo

  10. Meikel says

    Vom allerfeinsten Dominik – mann – hast Du ein Schwein 😀 und Kathy ein Gespür..echt coole Sache, ich freu mich, dass Dein Mjölner wieder da ist – das wäre so heftig gewesen, wenn DER weggekommen wäre und ich weiß wovon ich rede , schließlich durfte auch ich die Taube kennenlernen. Mann mann sehr aufregender Einstieg…wünsch Dir alles Gute und bin gespannt auf weitere Deiner Erlebnisgeschichten !!!

    GreEtZ from L.E.
    Der Meikel