El Salvador ist so klein wie Hessen. In nur fünf Stunden hat man es locker von Ost nach West durchquert. In einem ausrangierten Schulbus aus den Staaten hatte ich eine windige und rasante Fahrt. Mehr als sieben Millionen Einwohner teilen sich dieses Fleckchen Erde, viel unberührte Natur gab es also nicht zu sehen. Und auch Touristen begegneten mir kaum, es war wie Neuland betreten, das Abenteuer hing förmlich in der Luft. Immer wieder wurde ich verwundert gefragt, was ich denn hier machen würde, so allein? Meine Antwort darauf, mir El Salvador anschauen, löste nur erstauntes Kopfschütteln aus (1). Dabei ist die Landschaft hier wunderschön! Wie in Nicaragua, recken sich auch hier wuchtige Vulkankegel in die Höhe, dichtes Grün bedeckt die Erde und am Küstenstreifen brechen sich die gigantischen Wellen des Pazifiks. In Playa del Tunco legte ich einen Stop ein und ging noch einmal surfen. Über die “Ruta de Flores”, die Straße der Blumen, gelangte ich nach Juayúa, ein farbenfrohes Bergdörfchen, dessen Häuser, Papierkörbe, ja selbst die Strommasten mit surealen und folkloristischen Motiven bemalt waren. Und in der Kirche am Marktplatz bekam ich einen schwarzen Jesus (2) zu sehen.
Lauter schöne Erlebnisse, doch am meisten beeindruckten mich die Menschen. Im Bus schenkte mir ein Mädchen eine Flasche Wasser, einfach so. Als ich ein Haus fotografieren wollte, hielt ein Autofahrer an, um mir nicht durchs Bild zu rauschen. Alle Salvadorianer waren unglaublich rücksichtsvoll. Und freundlich! Kaum begegnete ich ihren Augen, hob man den Hut oder winkte mit dem Stock. Man lächelte mich an, lächelte ich zurück, verzog sich das Lächeln zu einem breiten Grinsen. Befand man sich in meiner Nähe, begann man ein Gespräch, fragte mich nach dem Woher, dem Wohin oder ob man helfen könne. Selbst in der Haupstadt San Salvador. Busfahrer hielten für mich an, wo es nicht erlaubt war. Meinem gebrochenen Spanisch hörte man geduldig zu und dachte zwei Mal nach, um mir auch die bestmögliche Antwort zu geben. Noch nie zuvor in meinem Leben bin ich so viel Wärme und Menschlichkeit begegnet, wie in diesen Tagen in El Salvador.
So umwerfend aufgeschlossen, nett und hilfsbereit, wie mich die Salvadorianer in ihrem Land willkommen hießen, so verstörend wirken auf mich die Geschichten, die davon berichten, was sich dieses Völkchen bereits selbst angetan hat – und noch tut! Grund allen Übels war seit der spanischen Eroberung die Landverteilung. Um 1900 herrschten 14 wohlhabende Familien über gut 98 Prozent der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche. Der Großteil der Bauern war also landlos und lebte in Armut. Es kam zu Aufständen. 1932 ließ ein General bei einem solchen 30.000 Menschen erschießen. La Matanza – „das Massaker” gilt als das Ende der indigenen Völker El Salvadors. Menschen wurden getötet, einfach weil sie eine indigene Sprache sprachen oder „indianische“ Kleidung trugen. Eine Opposition, die FMLN leistete bewaffneten Widerstand. Die Plantagenbesitzer hingegen setzten Todesschwadrone ein. 1980 mündete der Konflikt schließlich in einem Bürgerkrieg.
Ein Ereignis aus diesem sei genannt: das „Massaker von El Mozote“. Es gilt als das größte Kriegsverbrechen in der Geschichte Mittelamerikas. Eine US-trainierte Regierungstruppe (3) hatte den Auftrag ein ländliches Gebiet von der Guerilla zu säubern. Das Todesschwadron kreuzte in der Ansiedlung Mozote auf, um die Einwohner zu verhören. Anschließend vergewaltigte man die Mädchen des Dorfes, manche waren erst zwölf Jahre alt. Schließlich wurden alle Anwohner getötet, insgesamt 900 Menschen, Männer, Frauen und Kinder. Und auch danach ging das Morden weiter. Bis 1991 die UNO in dem Konflikt vermittelte. Es wurden demokratische Strukturen installiert. Die Eingliederung der FMLN in den politischen Prozess gilt als Paradebeispiel.
Heute hat El Salvador mit einem anderen Problem zu kämpfen, der Gang „Mara Salvatrucha“ (4). Weltweit soll das Netzwerk 100.000 Mitglieder haben und fast den ganzen amerikanischen Kontinent bedecken. Will man aufgenommen werden, muss man sich verprügeln lassen. Mädchen haben die Wahl. Sie können sich auch von drei Bandenmitgliedern vergewaltigen lassen. Bekannt ist die Bande für ihre extreme Brutalität. Ihre Opfer werden enthauptet und/oder mit Macheten zerstückelt. Geld verdient man mit Waffenhandel, Prostitution, Drogenhandel, Autoschieberei, Menschenhandel etc.. Die jüngsten Mitglieder sind erst elf Jahre alt. Gegründet hat sich die Gruppe eigentlich in den USA. Im Jahr 2000 wollte man das „Problem“ dort loswerden und verwies 20.000 straffällige Jugendliche zurück in ihr Heimatland. Der spanischen Sprache nicht mächtig, ohne Job oder Ausbildung dauerte es nicht lang, bis sich die Gangmitglieder im alten Stil neu organisiert hatten. Ich selbst habe bewusst noch keine Maras gesehen. Wenn aber der Motor eines tiefer gelegten Opels aufheult, oder ein Jeep mit getönten Scheiben neben mir hält, dann warte ich praktisch schon darauf, dass sich ein Fenster beginnt zu senkenden und der Lauf einer Flinte erscheint. Zehn Menschen werden im Schnitt pro Tag in diesem kleinen Land ermordert. Mit Sicherheit gehört El Salvador zu den gefährlichsten Ecken dieser Welt.
(1) Offensichtlich sind die meisten Salvadorianer nicht besonders stolz auf ihr Land. Die meisten würden es gern verlassen, so wie viele ihrer Brüder und Schwestern. Mehr als eine Millionen Salvadorianer leben in den USA . Jährlich schicken sie 3 Milliarden US-Dollar an ihre Familien nach Hause. Damit steuern sie ganze 16 % des BSP El Salvadors bei.
(2) Laut meinem Reiseführer soll es sich bei meinem schwarzen Jesus um den Bruder des in Esquipulas/ Guatemala hängenden Leidensgenossen handeln. Er wurde von Quirio Cantano im späten 16. Jahrhundert geschnitzt.
(3) Wen das Thema „US-Training von lateinamerikanischen Soldaten und Diktatoren“ interessiert, der sollte mal dem Wiki-Link „School of the Americas (SOA)“ folgen. Wer sich in die Thematik eingelesen hat, den wundern auch die Fotos aus Abu Ghuraib nicht mehr…
(4) Der Name setzt sich zusammen aus den Wörtern Mara („Mara“ steht umgangssprachlich für Bande oder Gang, leitet sich ursprünglich aber von der Ameisenart Marabunta ab. Die Wanderameisen fällt schlagartig in Gebiete ein und vernichtet alles, was auf ihrem Weg liegt), Salva (für Salvadorianer) und trucha (spanisches Slang-Wort für „wachsam“).
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Hallo Dominik, das liest sich ja wieder sehr interessant, war lange nicht drin/dran an der Seite. Die Mara machen einem ja Angst, eine spinnenförmige Ausbreitung ist da ja gegeben. Aber mafiöse Strukturen gibt es überall. Murmansk gehört hälftig den Norwegern, die sich ihre Oligarchen gekauft haben und Administration schmieren, es ist in Ost wie West so. Der kleine MAnn kämpft chancenlos! Reisebericht ist in Arbeit, Fotos einige bei facebook anzusehen, beherrsche die technik immer weniger um sie ins Netz zu stellen bzw. brauche ich dafür lange Zeit, die ich jetzt zu Beginn des SJ eher nicht habe. Pass weiter schön auf dich auf Bine