Zehn Vulkane schmücken den Horizont. Die Sonne wettert vom Himmel. Es ist heiß in Nicaragua. Besser ich bewege mich langsam, denke ich noch, und schaffe es gerade mal wieder einem nichtexistenten Gullydeckel auszuweichen. Es fehlt an Geld in Leon, der Hauptstadt der Revolutionäre, der Helden der Nation. Geld für Gullydeckel und Geld für das Museum. Nicht minder bedeutend steht es gegenüber der größten Kirche Zentralamerikas. Doch während im Haus Gottes Goldsärge blinken, bröselt im „Museum der Revolution“ der Putz von der Decke. Fenster gibt es nicht. Und die kriegsgebeutelte Geschichte wird durch Zeitungsausschnitte erzählt, welche einfach an die Wände geleimt wurden.
Sie beginnt mit General Augusto César Sandino, dem Padre de la Revolución Popular Antimperialista, dem Vater der Revolution. Sandino war ein feiner Kerl mit einem schicken Hut. Für ihn gab es nur ein Problem: er hasste US-Amerikaner. Nicht zuletzt, weil sie schon zwei Mal in sein Land einmarschiert waren. Nach Guerillaart bekämpfte er die im Land stationierten US-Truppen in den Bergen. Sechs Jahre lang brachte er ihnen empfindliche Niederlagen bei. Sandino führte die liberale Bewegung Nicaraguas an. Die Amerikaner untertsützten die konservativen Kräfte. 1933 zogen sich die Marines zurück. Um Sandino klein zu kriegen hinterließen sie eine trainierte Guerilla-Armee. Ihr Oberbefehlshaber war Anastasio Somoza García. Um den Konflikt zu lösen lud Somoza Sandino zu einer „Friedenskonferenz“ ein. Sandino nahm an, man speiste feierlich und als Sandino wieder gehen wollte, ließ Somoza ihn erschießen. So viel Niedertracht schockierte die Lieberalen. Man erklärte Sandino zum Märthyrer. Noch heute nennen sich die linken Kräfte Nicaraguas Sandinistas.
Somoza hingegen hatte seinen Erzfeind aus dem Weg geräumt. Kaltblütig und ausgepufft, putschte er nun auch gleich noch gegen den amtierenden Präsidenten Sacasa und ließ sich selbst zum Präsidenten wählen. Hartherzig und blutrünstig dirigierte er Nicaragua die kommenden 20 Jahre. Dabei eignete er sich Land an, von der Größe El Salvadors. Die USA unterstützten den Diktator, denn sie brauchten Nicaragua, um zum Beispiel 1954 in Guatemala zu intervenieren (1961 in Kuba). Und für Somoza lief alles prima, bis am 21. September 1956 der junge Dichter Rigoberto López Pérez auf der Bildfläche erschien. Wieder war die Bühne ein Bankett. Verkleidet als Kellner nährte sich Pérez Somoza und feuerte drei mal ab. Acht Tage später erlag Somoza seinen Verletzungen. Es folgte ein kurzer Jubelschrei der Linken, doch die Hoffnung auf ein freies Nicaragua erfüllte sich nicht. Denn Somoza hatte Nachfolger. Zuerst bestieg sein Sohn Oberst Luís Somoza Debayle den Thron. Als dieser starb folgte ihm der jüngere Bruder Anastasio Somoza Debayle. Ökonomisch gesehen waren alle Somozas sehr aktiv. Im Laufe der Zeit eigenten sie sich mehr als 300 Unternehmen an: darunter Hafenanlagen, Brauereien, Zement- und Textilfabriken, Bauunternehmen, Versicherungen, die Fluggesellschaft des Landes, eine Schiffahrtslinie, eine Zeitung und eine Fernsehanstalt.
1972 erschütterte ein starkes Erdbeben die Hauptstadt Managua. Es forderte etwa 10.000 Menschenleben. Die Familie Somoza nutzte die Katastrophe schamlos zur eigenen Bereicherung aus: internationale Hilfsgelder leitete sie auf ihre Konten um, geschicktes Blutplasma verkauften sie zurück an die USA und sie rissen das Bau- und Bankgewerbe an sich. Dieser offensichtliche, skrupellose Machtmissbrauch vereinigte die Opposition in Nicaragua. Die allgemeine Unterstützung der Sandinistas wuchs im ganzen Land. Doch ihr Erfolg veranlasste Anastasio Somoza Debayle auch zu drakonischen Gegenmaßnahmen. Oppositionelle wurden verhaftet, gefoltert und getötet. Die Opfer wurden aus Hubschraubern in den Ozean geworfen oder in den Krater des Vulkans Momotombo.
Den Widerstand der Opposition dominierten zwei Gruppen: die Guerilleros der FSLN (Sandinisten) unter Führung von Carlos Fonseca und die UDEL (die Bürgerliche Bewegung) – angeführt duch Pedro Chamorro. Als Somoza Nr.3 Chamorro ermorden ließ, hatte er das letzte Mal seinen Finger in die Wunde der Befreiungsarmee gesteckt. Die Guerillas erhielten international Unterstützung. Mit Hilfe von zehntausenden Zivilisten eroberten sie Stadt für Stadt im ganzen Land. Die Stadt León bildete eine Ausnahme. Sie hatte von Beginn an geschlossen und hartnäckig der Dynasty Somoza getrotzt.
Am 17. Juli 1979 gingen 40 Jahre Diktatur zu Ende. Somoza floh nach Florida (1). Zwei Tage später zogen die Guerilleros in Managua ein, die Nicaraguanische Revolution hatte gesiegt. 30.000 Menschen hatten im Bürgerkrieg ihr Leben verloren, über 150.000 Menschen hatte er in die Flucht getrieben. Zurück blieb ein verarmtes Land. Heute ist es das Ärmste Mittelamerikas.
(1) In Florida hatte sich Anastasio Somoza Debayle schon vorzeitig einige Unternehmen gekauft, so dass er auch weiterhin ein nettes Leben führen konnte. Nach seiner eigenen Aussage soll sein Vermögen zu diesem Zeitpunkt ca. 100 Mio. US-Dollar betragen haben. In einem CIA-Bericht wurde sein Vermögen mit ca. 900 Mio. US-Dollar angegeben. Andere Quellen sehen sogar die Millardengrenze überschritten, womit die Familie etwa ein Viertel des Gesamtvermögens Nicaraguas besessen hätte.
Nachdem die USA Anastasio Somoza Debayle aus ihrem Land haben wollte, gewährte ihm Alfredo Stroessner (ein Diktator deutscher Abstammung) in Paraguay Asyl, wo er 1980 von der argentinischen Revolutionären Volksarmee getötet wurde. Drahtzieher des Attentats soll der Kubaner Fidel Castro gewesen sein.
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