Ich musste schlucken, als wir an Bord der „Lya del mar“ gingen. Das Deck war schmutzig und von Öllachen verklebt. Aus dem Lagerraum staubte eine Zementwolke. Gleichzeitig versuchten zwei Dutzend Passagiere zwischen Bananenstauden, Gaskanistern, Holzbohlen, Bootsmotoren, Fischnetzballen und Softdrinkpaletten einen Platz zu finden. Es roch nach Chaos. Der Kapitän griff ein und ließ sämtliches Gepäck unter Deck bringen. Fünf Hängematten baumelten herum. Gott sei dank hatte ich eine eigene dabei. Die Toilette war vermutlich noch nie gesäubert worden. Und die Hände des Kochs waren so dreckig, wie die Teller auf denen er das Essen „servierte“.
Es gab Reis und Fisch. Allerdings nicht Fischfilet, Fischfrikassee oder irgendeinen anderen essbaren maritimen Luxus. Nein, es gab lediglich Fischkopf oder Fischschwanz zur Auswahl. Ich bekam einen Fischkopf, knochenhart frittiert. Ich drückte mit der Gabel darauf herum, aber da war nichts zu machen. Für mich war da nichts zu Essen dran. Ich aß meinen Reis und ließ den braunen Knorpel zurück. Als ich meinen Teller gerade wieder in die Küche schaffen wollte, tippte mir einer der Argentinier auf die Schulter. Er habe noch Hunger, meinte er. Kein Problem dachte ich, soll er ihn doch haben. Neugierig beobachtete ich den Hippie beim Verzehr der Delikatesse. Und ob ihr’s glaubt oder nicht, aber er ließ nichts zurück. Augen, Kiemen, Lippen… alles wanderte in den Magen meines Freundes. Er knabberte einfach alles auf – und tat mir dabei unheimlich Leid. Er musste seit Tagen nichts gegessen haben, dachte ich noch und wurde bereits einen Tag später eines besseren belehrt. 24 lange Stunden vergingen bis zur nächsten Mahlzeit und diese genügten um mich in einen ähnlich hungrigen Zustand zu versetzen. Wieder gab es nur Fischköpfe und Schwänze. Ich entschied mich diesmal für Schwanz und verputze diesen bis zur letzten Schuppe. Im Laufe der kommenden Tage versuchte ich nochmal Kopf, doch mit den Schwänzen kam ich besser zurecht. Etwas anderes zum Verzehr gab es in diesen Tagen nicht.
Abgesehen von diesen malträtierenden Umständen, deren Erfahrungswert ich jedoch nicht missen will, hatte die Reise um den Isthmus von Panama natürlich auch ihre Sonnenseiten. In der Hängematte schaukelnd, ein gutes Buch in der Hand und Musik im Ohr, beobachtete ich, wie Kokospalmen und Sandstrände vorbeizogen. Die meisten der Robinsoninseln – eine von ihnen trägt sogar diesen Namen – waren unbewohnt. Auf den etwa 50 bewohnten – und jetzt wird’s spannend – leben die Angehörige des Volkes der Kuna. Das besondere an ihnen: seit sie mit den Spaniern in Berührung gekommen sind, konnten sie wie kaum eine andere Ethnie Südamerikas ihre Kultur, Identität und Unabhängigkeit bewahren. Der Kuna Yala, früher auch San Blas Archipel genannt, gilt heute als eine autonome Region innerhalb Panamas. Bei den Kuna herrscht noch immer das Matriarchat, und der erwählte Mann muss bei der Heirat auf die Insel und in die Hütte der Frau ziehen. Noch immer tragen die Frauen, neben ihrer traditionell bunt bestickten Kleidung, Goldschmuck an den Ohren, in der Nase und um den Hals. Und die Anhäufung von Kapital läuft noch immer den kulturellen Prinzipien zuwider.
Jeden Tag legten wir an verschiedenen Inseln an und besuchten die Dörfer der Kuna. Und eines Nachmittags machten wir auch an der Hauptinsel halt. Eine Post, ein Lotteriebüro, ein Gerichtsgebäude, eine Gefängniszelle und eine Bar zierten einen kleinen Platz. Eine große strohgedeckte Hütte, die eher an einen Stall erinnerte, wurde uns als Kongressgebäude präsentiert. Als wir eintraten fand gerade eine Sitzung statt. Wobei „Sitzung“ vielleicht kein gut gewähltes Wort ist…, denn die Kaziken, die indigenen Stammesführer, schaukelten in Hängematten! Wir verhielten uns leise und durften bleiben, während man zu einem mehrstimmigen Sprechgesang in unverständlicher Sprache ansetzte. Die Kaziken trugen schwarze Chaplinmelonen, Schlips und Anzug. Als den fünf Sängern nach etwa einer Stunde die Stimmen versagten, waren alle anderen Anwesenden eingeschlafen. Ein Übersetzer meldete sich zu Wort und begann das Gesungene zu interpretieren. Am Ende wurde noch ein wenig diskutiert. Als wir das „Kongressgebäude“ verließen, musste ich noch immer schmunzeln. Hängematten im Bundestag würden sicher auch bei uns für eine entspannte Atmosphäre sorgen.
Simral Colman (1840-1929), auch „El gran Jefe“ genannt, war der Che Guevara der Kunas. 1925 führte er die Revolution an, die letzte Schlacht gegen Panama. Im Ergebnis erhielten die Kunas den autonomen Status, der noch heute ihre Kultur schützt – und der von einigen auch zum Kokainschmuggel genutzt wird.
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